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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Jungen auf die Beine, packte ihn an den
Schultern und dirigierte ihn in den Gang hinaus, auf dem ein
heilloses Durcheinander herrschte. Da das Fondaco –
genau wie die Gasthäuser – vollkommen überfüllt
war, hatte es sie eine horrende Summe gekostet, eine der
sechsundfünfzig Kammern im Obergeschoss zu mieten, die den
Kaufleuten als Wohn- und Arbeitsstätte dienten. Weil er und Falk
keine Güter mit sich führten, hatten sie viele giftige
Blicke auf sich gezogen – was in Anbetracht der Tatsache, dass
die Gewölbe im Untergeschoss nicht ausreichten, um die Waren zu
lagern, verständlich war. Ballen, Säcke und Truhen
stapelten sich selbst in den Gängen, und obschon es spät
war, wimmelten die Korridore immer noch von Dienern, Beamten und
Lastenträgern.
        »Eigentlich
wollte ich zur Abendmesse«, murmelte Falk, doch Ottos Blick
sorgte dafür, dass er verstummte. Am Eingang angekommen, ließ
sich der Ritter zum zweiten Mal an diesem Tag von einem der Visdomi – den Aufsehern des
Gebäudes – seine Waffen wieder aushändigen, die er
bei der Ankunft hatte abgeben müssen. Und erneut dankte er der
Weitsicht, die ihn dazu veranlasst hatte, sich nicht nur umgehend um
den Geleitbrief zu kümmern, sondern im gleichen Atemzug für
ein neues Schwert zu sorgen. Dafür hatte er sich Geld von seinem
Neffen leihen müssen, doch dieser schien froh gewesen, Otto für
eine Weile los zu sein. Mit gestrafften Schultern und einem
entschlossenen Zug um den Mund trat er hinaus ins Freie. Immer noch
drängten sich unzählige Menschen auf dem Rialto, und
inzwischen verbreiteten die trichterförmigen Kamine über
den Dächern eine dichte, stinkende Rauchwolke, die sich mit
Essensgerüchen vermischte. Ottos Magen knurrte. »Auf der
anderen Seite der Brücke habe ich einige Gasthäuser
gesehen«, verkündete er und betrat die hölzernen
Bohlen, bevor Falk es sich anders überlegen konnte. Wenn er den
Bengel in einer der zwielichtigen Spelunken mit Wein abfüllte
und in die Arme einer Dirne trieb, blieb ihm genug Zeit, sich um die
Feinheiten seines Planes zu kümmern. Nachdem er den osmanischen
Handelsvertreter verlassen hatte, war ihm eine Idee von solcher
Eleganz gekommen, dass er sich am liebsten selbst dafür
beglückwünscht hätte. Wenn alles so lief, wie er es
sich vorstellte, dann würde er nicht nur seine Seele vor dem
Fegefeuer bewahren, da er sich selbst die Hände nicht schmutzig
machen musste; er würde sich zudem eine Reise ersparen, von der
er immer weniger hielt, je weiter sich die Dinge entwickelten. Wäre
die Mude noch
im Hafen gelegen, hätte alles anders ausgesehen. So allerdings
war die beste Lösung, den Knaben betrunken zu machen, all seiner
Habseligkeiten zu berauben und an den erstbesten Kapitän zu
verschachern, der mit Sklaven handelte. Denn diese Erkenntnis hatte
ihn bei seinem Gang durch die Stadt getroffen wie ein Hieb in den
Magen: In Venedig konnte ein Mensch spurlos vom Erdboden
verschwinden, ohne dass ihn irgendjemand vermisste.

    *******

    Hin und her
gerissen zwischen der niederdrückenden Enttäuschung, welche
die Nachricht von der Abfahrt der Mude ihm beschert hatte, und
der bereits wieder in ihm emporbrodelnden Aufregung bahnte Falk sich
hinter Otto von Katzenstein einen Weg durch das Getümmel.
Schliefen die Kaufleute denn nie?, fragte er sich verwundert, als
plötzlich eine Glocke erklang und die Männer um ihn herum
so schnell auseinander spritzten, dass er und sein Onkel sich
unversehens einen Steinwurf kanalabwärts wiederfanden. Noch
bevor Falk sich von der Überraschung erholt hatte, tauchte um
die Biegung ein gewaltiges Schiff auf, das nur allmählich die
Fahrt verlangsamte. Einem gebrüllten Befehl folgend, zog je ein
halbes Dutzend Männer das an Eisenketten befestigte Mittelstück
der Rialtobrücke in die Höhe, sodass die Kogge kurz darauf
ungestreift vorbeiziehen konnte. Kaum hatte das Heck den letzten
Pfeiler passiert, senkten die Handlanger das mittlere Stück
zurück an seinen Platz, und augenblicklich schwappte der Strom
der Händler wieder darüber. »Was für eine
Stadt«, murmelte der Knabe und blickte sich nach allen Seiten
um. Inzwischen hatte die Stadtwache überall Laternen und Fackeln
entzündet, und da die Straßen immer noch überfüllt
waren, entstand ein seltsam zeitloser Eindruck. »Lass uns einen
Happen essen«, schlug Otto vor, nachdem sie einige hundert
Schritt in Richtung Norden geschlendert waren. Dort, verteilt um
einen kleinen Platz, drängten sich hell

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