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Die Heilerin - Roman

Titel: Die Heilerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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war ...
    Der Block.
    Ich streckte die Hand aus und berührte ihn. Er war warm, wie Haut, trotz der Kälte im Raum. Wärme auch in meinem Rücken. Ich sah mich über die Schulter um. Die Spätnachmittagssonne schickte ihre Strahlen durch die zerbrochenen Fenster. Staub und Stofffasern schwebten durch den Raum. Der Boden war mit Glassplittern übersät. Die Teppiche unter dem Block waren fadenscheinig, unter stark abgenutzten Stellen schimmerte der Untergrund durch wie das Holz eines Schiffsrumpfs unter abgeschmirgelter Farbe. Eis überzog alles mit einem weißen Schimmer.
    »Ha... hallo?«, quiekte ich mit einer Stimme, die mir fremd war. Ich konnte weder Zertanik noch den Erhabenen sehen, aber der Raum war ebenso in Fetzen wie meine Kleider. Alles war mit der gleichen Kraft, die mich gegen das Bücherregal geschleudert hatte, von dem Block fortgefegt worden. Möbelbruchstücke stapelten sich an den Wänden, Gemälde hingen in Streifen über zertrümmerten Tischen und Stühlen. Sogar Großmamas Porträt war fort.
    Eine warme Brise wehte herein. Die Vorhänge waren verschwunden. Ein Teil des Daches auch, und Gesteinssplitter verteilten sich in all dem anderen Schutt. Ein zarter roter Nebel bedeckte die Wand auf der anderen Seite und, weiter unten, Fetzen von bunter Seide. An einem geborstenen Ziegelstein klebte eine Hand voll eisverkrusteter Haare, die schwarz in der Sonne glänzten.
    Zertaniks Haare.
    Sonst war nichts von ihm übrig. Er hatte sich einfach aufgelöst, so wie die Pynviumklumpen, die ich zu oft entleert hatte. Ich wollte mich nicht nach dem Erhabenen umsehen, aber mein Blick suchte trotzdem nach allem, was grün war. Nicht viel anders als bei Zertanik war auch von ihm nur eine einzelne goldene Litze übrig, die zwischen einem Schreibtisch und einer zerbrochenen Statue hervorlugte. Und die dahinterliegende Wand verbarg sich hinter dem gleichen roten Dunstschleier.
    O ihr Heiligen! Das war Blut.
    Ich würgte, zwang mich zu atmen. Schlug die Hände vor das Gesicht, bis die Welt aufhörte, sich um mich zu drehen.
    Warum war ich nicht tot ?
    Ich musste hier raus. Ich stemmte mich auf die Knie und suchte in dem Chaos nach der Doppeltür, die plötzlich so weit weg war. Aber der Weg nach draußen war dort, jenseits des Todes.
    »Nya!«
    Die Stimme eines Mannes von irgendwoher. Vertraut, aber es war nicht Danello. Nicht Soek. Ich versuchte zu antworten, aber alles, was über meine Lippen kam, war ein heiseres Krächzen. Alles drehte sich um mich, silbrige Flecken tanzten vor meinen Augen, verkleinerten mein Blickfeld wie an jenem Tag auf der Brücke, nachdem ich dem Fischer den Schmerz gegeben hatte. Ich schwankte, ich fiel. Glas bohrte sich in meine Knie.
    Ein lautes Donnern, und eine Schuttmauer zu meiner Rechten geriet in Bewegung. Die Überreste des Sofas, auf dem Zertanik gesessen hatten, verteilten sich auf dem Boden. Noch ein Donnern, und ein Lichtstrahl drang durch das Chaos.
    »Ist da jemand?«
    »Hier«, hauchte ich.
    Schwere Schläge und ein wiederkehrendes Krachen ertönten, und der einzelne Lichtstrahl wurde zu einem Keil, dann zu einer Türöffnung. Blau und Gold verdrängten ihn gleich wieder, farbige Flecken in dem tanzenden Silber am Rand meines Blickfelds.
    »Nya?« Ein Mann. Auf der Schwelle. »Bei allen Heiligen, Nya, was ist passiert?«
    Ich versuchte zu antworten, aber die Worte wollten nicht kommen. Ich kannte dieses Gesicht, diesen Mann, aber sein Name fiel mir nicht ein.
    Er zog sein Hemd aus und streifte es mir über den Kopf, fädelte meine Arme durch die Ärmel, wie ich es bei Tali getan hatte, als sie noch klein gewesen war. Hielt mein Gesicht, musterte mich aus besorgten Augen. Sein Oberkörper war nackt. Er hatte Narben, viele Narben. »Kannst du mich hören ?«
    Ich nickte. Dann schwemmten mich die wirbelnden Silberflecken hinweg.
 
    Ich erwachte im Sonnenschein. Durch die großen Fenster um mich herum fiel warmes Licht herein, und hinter diesen Fenstern funkelte der See, als wäre heute nichts Schlimmes passiert. Der Wunsch, dass das wahr wäre, überwog beinahe meine Furcht vor der Frage, wo ich war. Davor, wen ich getötet hatte - und wie.
    Oder wie ich es überlebt hatte.
    Schmerzen plagten mich am ganzen Leib, als ich mich aufsetzte. Ich war in einem rundum verglasten Raum, lag auf einer weichen Liege neben einem Tisch, auf dem eine Vase mit leuchtend rosafarbenen Veilchen stand. Blaue Seide schmeichelte meinen Prellungen, und ich zupfte an einem Hemd, das viel zu groß für

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