Die Heilerin - Roman
Block sein würde. Aber ich hatte immer noch eine Wahl, zu was ich geformt werden sollte.
Ich blickte auf. Von einem Bild an der Wand schauten mich vertraute braune Augen an. Großmama. Gevegs letzte eigene Erhabene, die uns genommen worden war, als die Soldaten des Herzogs die Stadt gestürmt hatten. Auch jetzt noch konnte ich ihre Worte hören.
Es ist besser, die Zügel zu nehmen, als das Pferd zu schlagen.
Ich kicherte mit Tränen in den Augen. Großmama hatte immer recht gehabt, hatte immer gekämpft. Selbst an diesem letzten Tag, an dem wir uns ergeben hatten und die Männer des Herzogs sie aus dem Gildenhaus weggezerrt und mitgeschleppt hatten. Ihre Leiche hatten sie nie zurückgebracht. Nicht einmal in einer schmucklosen Kiste wie die von Mama. O ihr Heiligen, ich vermisste sie beide.
»Ihr lasst die Lehrlinge gehen, wenn ich es tue?«, fragte ich. Meine Stimme zitterte, meine Hände nicht.
»Gewiss, gewiss.« Zertanik war wieder auf den Beinen, tanzte beinahe und wartete auf meine Antwort. Der Erhabene rührte sich nicht.
Die Stimme des Fischers hallte in meinen Kopf wider... . ein ganzes Jahr, um wieder auf die Beine zu kommen. Diese Zeit könnten wir jetzt wirklich brauchen. Wie lange hielt so ein Block Pynvium vor? Für Tausende von Heilbehandlungen? Dieser hier war voll, aber konnte ich Geveg ein Jahr verschaffen, wenn ich sie leerte ? Konnte ich den Gevegern die Zeit verschaffen, einen Erhabenen zu fordern, wie Großmama es gewesen war, einen, der sie beschützte, statt sie auszubeuten?
Vielleicht, aber die Vielleichts hatte ich satt.
Ich war keine Heilerin, aber ich konnte mein Leben gegen das ihre eintauschen, ohne jemandem wehzutun, der es nicht verdient hatte. Erneut betrachtete ich das Bild. Ich wusste, was Großmama tun würde. Was Mama und Papa getan hatten. Ich musste diejenigen schützen, die ich liebte.
Es tut mir leid, Tali. Ich wollte sie nicht allein lassen, aber wenn diese Leute mich hatten, hatten sie keinen Grund, ihr wehzutun. Und wenn sie erst fort waren, gäbe es auch niemanden mehr hier, der den anderen wehtun konnte. Es tat mir nur leid, dass Vinnot nicht hier war.
»Ich nehme dein Angebot an«, sagte ich und schenkte Zertanik ein Lächeln. »Und als Erstes werde ich das hier für dich leeren.«
Er strahlte und rieb sich doch tatsächlich die Hände.
Ich schloss die Augen, presste die Handflächen gegen den Block und stellte mir drei Pusteblumen im Wind vor.
Dreiundzwanzigstes Kapitel
S chmerz löste sich explosionsartig aus dem Block und schleuderte mich rücklings gegen ein Bücherregal. Feiner Sand legte sich über meine Augen, meine Haut, peitschte mein Haar zurück wie ein Orkan. Zertanik und der Erhabene schrien, doch ihr Schreien und Wehklagen ging im Getöse unter. Holz knarrte, brach, und Splitter regneten auf mich herab, Sekunden bevor der Orkan nachließ und ich mit dem Gesicht voran zu Boden stürzte.
Ich lag dort Stunden ... Tage ... Sekunden ... Ich wusste es nicht. Das Pochen in meinem Kopf war so schnell und so heftig wie mein Herzschlag. Meine Finger waren auf eine Weise kalt, wie ich es noch nie erlebt hatte. Der ganze Rest meines Körpers war taub.
Warum war ich nicht tot?
Etwas Kaltes, Scharfkantiges lag auf meinen Augen, und ich wischte es weg, zuckte zusammen, als winzige Splitter meine Gesichtshaut zerkratzten. Vorsichtiger machte ich weiter, fegte etwas zur Seite, das sich anfühlte wie kaltes Salz. Ich schlug die Augen auf und starrte blinzelnd die weißen Kristalle an, die auf meinen Fingern schmolzen.
Eis? Großmama hatte uns von Eis erzählt. Von den Geschichten, die ihre Großmama ihr aus ihrem Leben beim Bergvolk erzählt hatte. Es fiel wie Regen vom Himmel, wenn es kalt war. Tali hatte gelacht und ihr nicht geglaubt. In Geveg war es nie so kalt.
Aber jetzt war es kalt. Eine Gänsehaut jagte über meinen Körper, und ich zitterte. Ich rieb mir die Arme. Sie waren mit Eis überzogen, so wie es meine Augen gewesen waren. Ich wollte den Kragen enger um den Hals ziehen, doch nur zerfetzter Stoff glitt zwischen meinen Fingern hindurch. Ein Rinnsal Eiswasser lief über meinen Kopf, meinen Rücken, meine ...
O ihr Heiligen! Wo waren meine Kleider?
Die Kälte und der Schock vertrieben den letzten Rest der Benommenheit aus meinem Kopf. Aylins Kleid war weg; nur ein paar ausgefranste Fetzen an Kragen und Ärmelaufschlägen waren noch übrig. Meine Sandalen waren noch da, aber die oberen Riemen waren gerissen. Und dieses blaue Ding neben mir
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