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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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musste eine ordentliche Wohnung für Geld zu haben sein. Aber er hatte es nicht eilig. Erst wolle er sich umtun und sich einleben, sagte er.
    Sie tat es auch, lernte, sich an den kleinen Verkaufsständen in den nahen Gassen mit Händen und Füßen zu verständigen und allmählich auch mit französischen Worten. An jeder Ecke gab es Garküchen. Die Pariser waren wohl sehr hungrig. Zu Talekes Erleichterung wimmelte es in der Stadt von Studenten und Kaufleuten aus fremden Ländern, daher stieß niemand auf Ablehnung, der kein Französisch beherrschte. Alle Fremden brachten Geld mit und waren eine willkommene Beute für ehrliche und unehrliche Einheimische. Zu kostspielig waren in Talekes Augen die Dienste der Wasserträger, und so verwandte sie viel Zeit darauf, Wasser am öffentlichen Brunnen zu holen.
    An dem Tag, an dem eine fette Marktfrau Taleke einen dicken Silberpfennig für ein gebratenes Huhn abverlangte, was in der Heimat dem Gegenwert einer Gänseherde entsprach, streikte sie. Es gab kein warmes Abendessen. Auf die fassungslose Miene von Nicolaus hin verlangte Taleke, ihr auf der Stelle die Geheimnisse der Rechenkünste zu erklären. Sie berichtete ihm vom Betrugsversuch der Marktfrau.
    Nicolaus, der den ganzen Tag unterwegs gewesen und mit weingeschwängertem Atem zurückgekehrt war, grinste bis über beide Ohren und nickte. »Gut, dass du dir nichts gefallen lässt.« Ohne ein Wort darüber zu verlieren, was er den Tag über getrieben hatte, kramte er aus seinem Gepäck ein Tuch heraus, das mit waagerechten und senkrechten Linien versehen war. »Das Rechnen auf Linie«, verkündete er und plazierte Zählmarken, die keine Münzen waren, aber so ähnlich aussahen, an verschiedene Positionen.
    Nachdem er zwei Beispiele von Rechnungsarten in aller Geschwindigkeit vorgeführt hatte, fragte er, ob Taleke verstanden hatte. Sie nickte.
    Sie erledigte die Aufgabe, die er ihr mit den Rechenpfennigen stellte, zügig, und er schien fast ein wenig enttäuscht. Taleke schmunzelte. Wahrscheinlich hätte er seine Überlegenheit gerne noch eine Weile ausgekostet. Das war eine lässliche Sünde.
    Nicolaus erhob sich und nahm einen tiefen Schluck aus dem Krug, den er mitgebracht hatte. »Weißt du, was ich erfahren habe?«, fragte er. »Für die Studierenden aus fremden Ländern gibt es hier Studienhäuser. Das sind Unterkünfte, die die eigenen Landsleute, die nach Hause zurückgekehrt und mit ihren Künsten reich geworden sind, für die jungen Leute, die nach ihnen kommen, angemietet haben, damit sie es leichter haben als sie selbst. Dort erhält man Unterkunft und Verpflegung und spricht die eigene Sprache. Heute habe ich das ›Collège de Dace‹ der Dänen und in der Nähe das ›Collège d’ Uppsal‹ der Schweden entdeckt. Einer der Dänen sprach ein ähnlich drolliges Platt wie du, und obwohl ich diese Leute nicht leiden kann, hörte ich ihm zu. Er sagte, ein Kolleg sei das Beste, was es gibt. Man lebe dort preiswert und gesellig. Morgen mache ich das Haus der Lübecker ausfindig, und dann ziehen wir dort ein.«
    »Ja«, sagte Taleke erleichtert. »Wir ziehen um, du beginnst dein Studium, und alles wird gut.« Die Stadt diesseits der Seine hatte sie bereits erkundet, während Nicolaus unterwegs gewesen war, und die Stadt jenseits, wo die Studenten lebten, würde gewiss nicht schlechter sein. Sie freute sich darauf.
     
    »Du kommst mit mir«, befahl Nicolaus am Morgen zu Talekes großer Überraschung. »Mit einer schönen Frau an seiner Seite erregt man mehr Aufmerksamkeit.«
    »Warum nicht?«, fand Taleke. Das Paris auf der anderen Flussseite kennenzulernen war ja genau, was sie wollte.
    Kurze Zeit später wanderten sie los. Auf der Brücke zur Seineinsel unterhielten Gaukler und Komödianten die Passanten. Sie machten Späße, schlugen Rad und wirbelten Bälle durch die Luft. Am Ende der Brücke verursachten eine Schalmei, eine Sackpfeife und eine Pauke einen Höllenlärm. Am liebsten wäre Taleke stehen geblieben, um zuzuhören und zuzusehen, aber dann eilte ein Passant vorbei, der Nicolaus auf Deutsch zuraunte: »Mann, die Hand immer auf dem Beutel lassen, du bist ihn sonst schneller los, als dein Vater ihn füllen kann!« Ab da trieb Nicolaus Taleke vorwärts; seine wegen des Tadels beleidigte Miene verlor sich noch lange nicht.
    Auf der Stadtinsel folgten sie dem Strom von Menschen über einen großzügigen Platz an König Philipps Palais vorbei, wonach sie in ein verwinkeltes Gassengewirr zwischen alten

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