Die Heilerin von Lübeck
Taleke: »Wieso Medizin? Dein Vater will doch, dass du die Jurisprudenz lernst.«
»Ach, habe ich dir das nicht erzählt? Ich wollte nie die Jurisprudenz studieren, die ist mir zu trocken und zu buchmäßig. Meine Hände wollen auch beschäftigt sein. In der Medizin gibt es praktische Übungen.«
»Aah«, murmelte Taleke und fragte sich, ob für Nicolaus’ Hände nicht eher das Schieben von Rechenpfennigen die vernünftigste Tätigkeit war. Bisher hatte er vor allem auf diesem Gebiet Ehrgeiz und Kenntnisse an den Tag gelegt.
»Wenn man erst einmal der Arzt von Fürsten geworden ist, ist das Ansehen hoch und der Verdienst gigantisch«, träumte Nicolaus laut, während er sich auf seinem Lager aus Fellen ausstreckte und voller Behagen einen Schluck des gerade gekauften fränkischen Rotweins kostete.
Es war ein teurer Tropfen. Bevor Nicolaus über die Kosten, die sie verursachte, geklagt hatte, hatte Taleke angenommen, dass seine Mittel unendlich waren. Diese Weinsorte ließ auch nicht darauf schließen, dass Nicolaus zu sparen beabsichtigte. Außerdem hatte er nach ihrer Ankunft in Paris die Reittiere verkauft, Taleke wusste allerdings nicht, wie hoch der Erlös gewesen war. Insgesamt wies nichts auf Geldnot hin. »Ich habe schöne Pasteten beim Koch eines Fürsten gekauft. Hast du Hunger?«
»Noch nicht«, sagte Nicolaus träumerisch und warf sich auf den Rücken. »Bald.«
»Sprichst du morgen mit dem Vermieter?«
»Mal sehen.«
»Bitte! Unsere Gänse leben schließlich ab morgen im Garten.«
»Dann wirst du wohl selbst mit ihm sprechen müssen«, schlug Nicolaus träge vor. »Ich habe andere Pläne.«
»Welche denn?« Taleke sah ihn gespannt an.
»Dies und das.«
»Oh, Nicolaus! Du weißt, dass ich dich unterstütze, wo ich kann. Aber dazu muss ich doch wissen, was du vorhast.«
Nicolaus betrachtete sie mit spöttischer Miene. »Ich glaube nicht, dass du viel ausrichten kannst bei dem, was ich tue. Das ist Männerarbeit. Ich denke, du solltest mal mit einem Priester sprechen, um zu wissen, wo der Platz einer Frau ist.«
Noch nicht ganz versöhnt, aßen sie am Nachmittag ihr Nachtessen. Die Franzosen mochten andere Zeiten gewöhnt sein, aber sie speisten nach Lübecker Art und Weise, nachdem die Kirchenglocke fünf Schläge getan hatte.
Die Fleischpastete schmeckte nicht so gut, wie Taleke bei dieser fürstlichen Herkunft erwartet hatte; tatsächlich hatte sie sogar einen muffigen Beigeschmack. Aber um Nicolaus nicht erneut gegen sich aufzubringen, zog sie es vor, den Pastetenbäcker eines Adelshauses nicht laut zu schelten. Sie schwieg auch, weil Nicolaus sich nicht abfällig äußerte.
Mitten in der Nacht erwachte sie von Bauchkrämpfen, und kurz danach brauchte sie den Kübel, um ihren ganzen Mageninhalt auszuspeien. Sie lag auf Knien davor, gab alles von sich, bis sie nur noch würgte, und schaffte es kaum, sich draufzusetzen, bevor die Brühe aus ihren Innereien wie Wasser aus ihr herauslief.
»Es stinkt«, murrte Nicolaus und drehte sich zur Wand.
»Die Pastete«, stieß Taleke hervor.
»Mir ist auch nicht gut«, pflichtete ihr Nicolaus bei, doch kurz darauf schnarchte er schon wieder in den gewohnten Tönen.
Taleke nickte immer mal wieder kurz ein, bis ein neuer Anfall von Erbrechen sie zum Kübel zwang. Im Morgengrauen endlich wurde es besser. Sie schaffte es, ein paar Schlucke Wasser bei sich zu behalten und einige Zeit später den Kübel nach unten zu schaffen und in die Abortgrube zu entleeren. Er stank wirklich wie der Höllenpfuhl.
Als sie nach oben zurückkam, saß Nicolaus senkrecht auf dem Lager und streckte die Hand nach dem Kübel aus. Er also auch.
Ihm ging es schlechter als ihr. Die Attacken kamen häufiger, und er hatte Schüttelfrost. »Wolltest du mich vergiften?«, keuchte er.
Taleke schüttelte voller Angst den Kopf. Was war, wenn er starb?
»Wasser!«
Taleke gab ihm zu trinken, wischte ihn trocken, putzte ihm den Mund und die Pobacken bis in den späten Vormittag hinein. Da wurde er endlich ruhiger und sackte auf seinem Lager zusammen. Sie selber schaffte es anschließend kaum bis zu ihrem eigenen, sie hatte sich völlig verausgabt.
Gegen Abend erwachte sie und schleppte wieder einmal den Kübel nach unten. Der Mieter der unteren beiden Räume hielt sich die Nase zu. Taleke versuchte, ihm verständlich zu machen, dass sie durch Pasteten vergiftet worden waren.
»Aah«, sagte der Mann und zog beide Mundwinkel nach unten.
»Vom Palast …« Taleke winkte in
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