Die Heilerin von Lübeck
besser.«
Nach einigen Tagen war Nicolaus wieder völlig genesen. Er äußerte sich nicht weiter zu Talekes Pflege, aber er hatte doch verstanden, dass er dem Tod nahe gewesen war. Dank erwartete sie nicht von ihm, das war nicht seine Art. Aber als er wieder richtig auf den Beinen war, machte er sich zusammen mit ihr auf, um die Gänse zu holen.
Kapitel 6
Nicolaus hatte es weiterhin nicht eilig, sich um sein Studium zu kümmern. Allerdings musste er sich von seiner Krankheit erholen, das sah auch Taleke ein und bedrängte ihn nicht. Bei Tage war er also unterwegs und hatte oft abends kaum etwas zu erzählen.
Angesichts seiner gegenwärtigen Zurückhaltung nahm Taleke sich heraus, endlich den Eierhafen an der großen Brücke zu besuchen, der jedoch nicht täglich stattfand. Sie wusste immer noch nicht genau, wovor der Gänsebauer sie hatte warnen wollen, falls er tatsächlich den Eierhafen gemeint hatte.
Sie bummelte auf dem Pont au Change entlang, die Hand fest auf ihrem Geldbeutelchen, aber entschlossen, das kurzweilige Treiben zu genießen. Größere und kleinere Stände und Buden wechselten einander ab, und zuweilen stauten sich Karren und Sänften an den Engpässen. Zu beiden Seiten der Brücke klapperten die Wassermühlen, mit denen das Mehl für die große Stadt gemahlen wurde.
Dann war sie am inselseitigen Brückenende angelangt, wo sie sich zwischen die Zuschauer drängte, die auf der linken Seite nach unten starrten. Sie entdeckte dort ein kleines, altes Hafenbecken mit verfallenden Mauern, in dem Bord an Bord Boote vertäut waren, aus denen Eier verkauft wurden.
Das Eierangebot war überwältigend. Schon an Farbe und Größe konnte Taleke erkennen, dass hier außer Hühner-, Gänse- und Enteneiern auch die von Wachteln und verschiedenen Möwenarten gehandelt wurden, alle adrett in Körbe auf getrockneten Tang gepackt.
Aber es gab auch lebende Tiere, zum Schlachten bestimmte in kleinen Holzkästen, und Singvögel in Behältnissen, die nicht größer als Grillenkäfige waren. Sie erkannte buntgefiederte und gelbliche Finkenvögel, stattliche Enten in winzigen Verschlägen sowie einzeln verwahrte, kämpferisch kreischende Hähne. Tote gerupfte und schon ausgenommene Hühner wurden in allen Kähnen feilgeboten. Krammetsvögel kannte man hier anscheinend nicht.
Wegen der Verständigung der Käufer mit den Händlern über mehrere Boote hinweg ging es laut zu, die Hähne krähten sinnlos aus Leibeskräften, und die Hühner, die gepackt und zum Kopfabschlagen auf Holzblöcke geworfen wurden, schrien in Erwartung ihres Todes. Mancher schon getötete Vogel entkam flügelschlagend durch die Unachtsamkeit seines Schlächters und trieb kopflos im Seinewasser davon, das von den blutigen Schlieren noch schmutziger als normal war.
Angewidert wandte sich Taleke ab. Dieser Markt war nicht das, was sie sich unter einem Eiermarkt vorgestellt hatte. Zu laut und zu blutig. Auf dem Gut war es an Schlachttagen ruhiger hergegangen.
Dann erst entdeckte sie die Garköche, mit denen sie zukünftig in Wettbewerb treten wollte. Stand an Stand reihte sich am Ufer, und sie boten anscheinend alle Köstlichkeiten der Welt an, die man mit nach Hause nehmen oder an Ort und Stelle verzehren konnte. Taleke konnte nicht widerstehen. Langsam wanderte sie an Schalen, Fässchen und Töpfchen mit Oliven, eingelegt mit Knoblauch, Kapern oder Zitronen, an Artischocken in Wein, an Sardinen mit Pfeffer und Lorbeer in Olivenöl, an Austern mit Schalotten in Essig, an noch warmem Hummer, an gebratenem Lamm und an Hähnchen vorbei, die am Drehspieß geröstet und mit Rosmarin gewürzt waren.
Die in Öl siedenden und dann mit Petersilie bestreuten Froschschenkelchen rochen verlockend, aber Taleke wählte doch lieber fünf für sie geöffnete frische Austern und setzte sich mit ihnen ans Ufer. Muscheln waren Muscheln, gleich, ob aus dem Meer oder aus den Teichen und Flüssen wie zu Hause.
Frösche hatte sie noch nie gegessen, außerdem hatten sie eine große Ähnlichkeit mit Kröten, die bei Priestern als die hässlichsten Tiere der Schöpfung galten. Allerdings hatte sie selbst gegen Kröten überhaupt nichts einzuwenden. Wie andere vernunftbegabte Wesen kuschelten sie sich in der Wärme zusammen, sogar wenn es eine menschliche Hand war, die ihnen die Wärme bot. Frösche waren quirliger und pischerten in einer menschlichen Hand vor Angst, aber darum waren sie ihrer Meinung nach noch längst nicht des Teufels. Vielleicht hätte sie sie doch
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