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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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stimmte Knud mit Sorgenfalten im Gesicht zu. »Wir Scholaren aus aller Welt verstehen allerdings nicht, warum der Verband der Flussschiffer unter einem mächtigen Präfekten und unsere Mutter Kirche dulden, dass Huren uns ausgerechnet im Gelehrtenviertel belästigen und uns tagtäglich trotz unserer Gelübde in Versuchung bringen. Die hilflose Frau Talèk musste mitsamt ihrem Öfchen aus diesem frivolen Getümmel gerettet werden.«
    »Hm«, meinte der Prévôt einsilbig.
    »Ich ahne bereits, was geschehen wird, wenn wir zu Hause davon berichten«, fuhr Knud kummervoll fort. »Unsere Väter werden einhellig der Meinung sein, dass solche Versuchungen zu ihrer Zeit in Paris nicht üblich waren. Womöglich werden unsere jüngeren Brüder in Zukunft nach Bologna oder Padua geschickt, um sie von den Lastern dieser Stadt fernzuhalten. Und ich fürchte, die norddeutschen, die schwedischen und die flämischen Väter von Scholaren werden sich den dänischen anschließen.« Knud machte mit den Händen eine sehr französische Geste des Bedauerns.
    Der Prévôt konnte sich ausmalen, worauf die Pariser Gelehrtenschulen sich würden gefasst machen müssen.
    »Der Eierhafen bringt uns nur wenig Abgaben ein«, flüsterte ihm der Schöffe zu, der ebenfalls rechnen konnte.
    Das schreckte den Gildevorsteher endgültig auf. »Wenn ich das geahnt hätte! Alles ein bedauerliches Missverständnis, Scholar und Sprecher Knud Tunderensis. Ich entschuldige mich bei Frau Talèk und bei Euch wegen der Aufregung. Und bitte beschwört Eure Mitscholaren, den Vätern keine ungerechte Darstellung von den Verhältnissen in Paris zu geben. Wir Pariser sind äußerst erfreut über den Zuspruch der Scholaren aus den frommen nördlichen Ländern und wünschen um nichts in der Welt, sie zu vertreiben.«
    »Euer Bedauern ist gern angenommen«, sagte Knud würdevoll.
    Der Prévôt drehte sich auf den Hacken um und scheuchte seine Schöffen vor sich her, den Weg zurück, den sie gekommen waren.
    Knud zwinkerte Taleke zu und winkte lachend seine Kameraden herbei, die die Gänse im Handumdrehen unter sich aufteilten. Bevor die verblüffte Taleke sich bei Knud bedanken konnte, schlenderte er mit einer fetttriefenden Keule in der Hand ins Dänenhaus zurück.

Kapitel 10
    Am vierundzwanzigsten des Herbistmanoths machte sich Taleke noch vor Mittag auf, dem Meister Josse einen ganzen Schlegel ihrer allerletzten Gans zu bringen. Sie würde der zuverlässig aussehenden Hausvermieterin das Bein in Tonschale und Korb verpackt anvertrauen. Da Nicolaus täglich mit dem Chirurgen zu tun hatte, war nicht zu erwarten, dass die Frau den Braten unterschlagen würde.
    Zu ihrer Verwunderung schickte die Vermieterin sie jedoch nach oben. Josse war zu Hause. Dieses Mal in einem fleckenlosen Talar und von einem sauberen Geruch umgeben, als hätte er gebadet, was man sich sonst erst am Tag vor Christi Geburt gönnte.
    »Frau Talèk«, sagte er überrascht. Im Übrigen schien Maître Josse ihre Gedanken lesen zu können. Er lächelte gewinnend und strich mit der Hand demonstrativ über seinen Talar. »Letzter Tag des Jahres 1307 . Da habe ich Prüfungen abzuhalten, morgens und nachmittags.« Er drehte sich um und ging in sein Zimmer voraus.
    Nicolaus war nicht da. Taleke fragte sich, wo er sein mochte. Schickte der Meister ihn jetzt doch schon allein zu Kranken?
    Als sie saßen – wie nicht anders zu erwarten, sehr unbequem –, fragte Josse: »Bist du wieder gekommen, um deinen Mann zu entschuldigen?«
    »Nein«, flüsterte Taleke bestürzt, »war er denn nicht hier?«
    »Für heute hatte ich ihm freigegeben, und ich erwarte, dass er die Zeit nutzt, um zu lernen. Gestern und vorgestern fehlte er unentschuldigt. Mit oder ohne Entschuldigung: Er kann es sich nicht leisten, so oft zu fehlen. Er versäumt zu viel. Es gibt Verletzungen und Krankheiten, die nicht alle Tage vorkommen, und der Lehrling hat Glück, dessen Meister den Vorgang der Diagnose, will sagen …«
    Taleke nickte heftig.
    »Du weißt, was eine Diagnose ist?«
    Taleke nickte wieder und konnte nicht verhindern, dass ihr die Röte ins Gesicht stieg. Vermutlich behandelte Nicolaus schon wieder Kranke, ohne nennenswerte Kenntnisse und zu niedrigen Preisen.
    »Gestern hatte ich einen außerordentlich interessanten Fall, der für Nicolaus wichtig gewesen wäre. Ich musste entscheiden, ob ich einem buckligen Kind helfen kann. Da ich keinen Knochen in der handtellergroßen Geschwulst am Rücken fühlte, bin ich das Wagnis

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