Die Heilerin von Lübeck
fünfundzwanzigsten November ist Schluss!«
»Du hast doch die Nachzucht. Dann mästest du die eben ein bisschen schneller«, schlug Nicolaus mit überheblicher Miene vor.
Taleke wusste, was ihm an der Gänsebraterei so gut gefiel: der Beutel mit Geld, den sie ihm regelmäßig überreichte. »Die Rechnung geht nicht auf«, erklärte sie lakonisch. »Ich habe mich getäuscht. Die Tiere bringen uns nichts ein.«
Nicolaus hielt den Beutel in die Höhe. »Ist das nichts? Mir scheint, es ist eine ganze Menge.«
»Du bist doch Kaufmann. Ihr vergleicht die Kosten für die Ware mit den Einnahmen. Glaubst du, dein Vater würde eine Ware in seinem Gewölbe lagern, die nicht einmal so viel einbringt, wie der Knecht ihn kostet, der sie hereinschleppt?«
»Nein, wahrscheinlich nicht«, gab Nicolaus zögernd zu.
»Eben.« Als Sohn eines Kaufmanns musste Nicolaus ja sofort begreifen, dass sich ein solches Geschäft nicht lohnte.
Jedoch hellte sich sein Gesicht im nächsten Augenblick wieder auf. »Andererseits dienen deine Gänse dazu, mich bekannt zu machen. Mittlerweile kennt jeder Maître Nicolaus vom rechten Seineufer und seine Gänsetalèk vom linken. Du musst nach der Fastenzeit weitermachen!«
»Oh, Nicolaus!«, stöhnte Taleke gequält. Seine Gedanken waren so unberechenbar wie die Flugrichtung einer Schmeißfliege. »Vor kurzem hast du mich wegen des Gänseverkaufs noch als heimliche Hure beschimpft, jetzt will ich die Garbräterei einstellen, und du bist wieder dagegen.«
»Ja, sie hat ja auch gewisse Vorteile«, beharrte Nicolaus eigensinnig.
»Dieser Knud aus Tondern«, begann Taleke, um ihn auf geschickte Weise von den Gänsen abzubringen, »weißt du, aus was für einer Familie er stammt?«
»Natürlich! Knud Grand, eine stinkreiche Kaufmannsfamilie mit einem stattlichen Haus in der Langen Straße am Markt. Das wäre so, als wenn mein Vater sein Gewölbe neben dem Lübecker Rathaus hätte. Dabei hat er es nur bis zu den Schüsselbuden geschafft.«
Blinkte da trotz seines Stolzes auf die Familie Verachtung für seinen Vater durch? Soweit Taleke sich an ihren ersten Tag in Lübeck erinnerte, gehörten die Schüsselbuden zu den Straßen, in denen die Reichen wohnten. »Knud war eigentlich sehr nett.«
»Glaub nur nicht, dass du ihn in der Fastenzeit wiedersehen wirst«, warnte Nicolaus. »Du bleibst schön in unserem Zimmer. Essen kaufen und zur Bibliothek gehen – darauf werden sich deine Gänge einstweilen beschränken. Meinetwegen auch noch Unterricht bei den Beginen, damit du bei den Übersetzungen aus dem Lateinischen ohne meine Hilfe vorankommst.«
Taleke machte ein missmutiges Gesicht, während sie innerlich frohlockte. »Wenn du wirklich dieser Meinung bist«, tastete sie sich langsam vor, »muss ich die Junggänse, die fürs nächste Jahr gedacht waren, eben jetzt schon schlachten. Ungemästet.«
»Nein, das wirst du nicht tun. Wir warten ab. Hauptsache, du machst endlich, was man dir sagt.«
Nun, darüber war das letzte Wort noch nicht gesprochen. Taleke stieß Nicolaus mit dem Ellbogen an und wies mit dem Kinn auf einen Priester, der ebenso wie sie auf den Petit Pont zueilte. »Guck mal, der stellt einem hübschen Knaben nach. Und was für gierige Augen er hat«, kicherte sie. Nicolaus warf ihr einen hasserfüllten Blick zu.
Zwei Tage später herrschte wieder Gewitterstimmung zwischen ihnen. Nicolaus holte sie auch nicht mehr aus dem Quartier Latin ab, sondern wartete zu Hause auf sie. Sie spürte seinen brodelnden Zorn, kaum dass sie das Zimmer betreten hatte.
»Du hast mich um einen Handel gebracht. Eine Kundin vertrieben. Warum hast du das gemacht?«
»Eine Kundin?«, wiederholte Taleke verblüfft. »Ich wusste nicht, dass auch du etwas verkaufst. Womit handelst du?«
»Mit Gesundheit. Der Herr hat mir die Gnade erwiesen, an seiner Stelle Kranke gesund zu machen.«
Taleke stockte der Atem. Bisher hatte sie ihn für einen gläubigen Sohn der Kirche gehalten, aber diese Überheblichkeit war alles andere als gottgefällig.
»Die Mutter des Jungen mit der Eiterbeule war außer sich vor Zorn, dass ich nicht gekommen bin. Der Junge ist gestorben, und du hast seinen Tod zu verantworten.«
Taleke schlug entsetzt die Hände an ihre Wangen. »Ich habe ihr doch empfohlen, zu Meister Josse zu gehen, damit er entscheidet, wer behandeln soll.«
»Aber das hat sie nicht getan, weil sie seine Dienste nicht bezahlen kann! Sie wusste, warum sie zu mir kam. Meine Behandlung wäre besser gewesen
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