Die Heilerin von Lübeck
als gar keine! Glaubst du nicht?«
Aber hättest du dem Jungen wirklich helfen können? Nach Meister Josses Meinung gewiss nicht, dachte Taleke bekümmert. »Ich bedauere die Mutter, es tut mir leid, dass es so gekommen ist. Aber bedenke, Nicolaus …«, Taleke hob die Stimme, »wäre der Junge trotz deiner Behandlung gestorben, wärst du jetzt in großen Schwierigkeiten. Nicht nur dein guter Ruf, auf den du solchen Wert legst, wäre dahin, auch mit Maître Josse hättest du es zu tun bekommen. Es ist sein Bezirk, in dem du ohne Erlaubnis behandelst.«
Nicolaus warf ihr einen furchterregenden Blick zu. »Immer hast du Ausreden! Nie siehst du ein, dass du im Unrecht bist.«
Taleke erschrak und schüttelte leise den Kopf. Das war genau das, was auch sie ihm hätte vorwerfen können. Aber sie schwieg, wie so oft.
Zur Non des nächsten Tages stand Taleke mit den letzten beiden zum Verkauf bestimmten gemästeten Gänsen fröstelnd an ihrem üblichen Standort vor dem dänischen Haus. Sie sah Knud von Tondern mit wehendem Talar auf sich zu eilen und suchte bereits die schönste Keule für ihn heraus, als er abrupt stehen blieb.
Sie drehte sich um. Ein Mann in der vornehmen Kleidung eines begüterten Bürgers strebte auf sie zu. Er war in Begleitung von zwei Männern, die in ihren Kitteln und Holzschuhen wie Schiffer aussahen.
Der Bürger sparte sich jeden Gruß. »Ohne Lizenz darf man keine Garküche betreiben!«, herrschte er sie an.
»Das wusste ich nicht«, sagte Taleke eingeschüchtert. »Wo kann ich so eine Lizenz denn erwerben?«
»Ich höre, dass Französisch nicht deine Muttersprache ist. Infolgedessen bekommst du überhaupt keine Lizenz.«
»Wer seid Ihr denn, dass Ihr es mir verbieten könnt?«, protestierte Taleke tapfer.
Er lachte verächtlich, und seine Begleiter wieherten. »Ich bin der von den Flussschiffern gewählte Prévôt des marchands, Vorsteher aller Kaufleute, allein dem König gegenüber zur Rechenschaft verpflichtet und ihn regelmäßig in allen Dingen beratend, die das Wirtschaftsleben dieser Stadt betreffen.«
Der Präfekt und Vorsteher der Kaufmannsgilde! Talekes Knie wurden weich. Von seiner Allmacht in der Stadt hatte sie schon gehört.
»Einige aufmerksame Händler vom Eierhafen haben dich angezeigt. Als Ausländerin werden wir dich also nicht nur wegen einer vergessenen Lizenz, sondern wegen Betruges anklagen, Frau. Meine Schöffen bringen dich zum Châtelet, wo du bis zu deinem Prozess eingesperrt wirst.«
Taleke wusste vor Bestürzung nichts zu erwidern. Die Warnung des Gänsebauern hatte sich offenbar auf die Eier- und Vogelhändler bezogen, aber jetzt war es zu spät für diese Einsicht.
Verzweifelt sah sie Knud entgegen, der bedächtig und würdig in schwarzem Mantel und Barett heranschritt. »Prévôt des marchands«, grüßte er ehrerbietig in tadellosem Französisch und verneigte sich. »Verzeiht meine Einmischung, ich höre, dass Ihr wegen der Gänse eine ernste Unterredung mit Frau Talèk habt. Darf ich Euch meine Kenntnis der Sachlage zur Verfügung stellen? Ich bin der Sprecher der Scholaren aus Dacia, Knud Tunderensis.«
»Hm«, grummelte der Präfekt. »Bitte, aber macht es kurz.«
»Die Scholarenversammlung des dänischen Hauses hatte Frau Talèk darum ersucht, uns jetzt, so kurz vor der Fastenzeit und der Geburt unseres Herrn Jesus Christ, Gänse nach heimischer Art zuzubereiten. Sie erklärte sich dazu bereit. Das wird manchen unserer Scholaren davon abhalten, aus Sehnsucht nach Hause zu reisen. Und wer weiß, ob er je wiederkäme? Ihr müsst dazu wissen, dass unsere Bräuche zur Weihnacht sich sehr von den französischen unterscheiden, und wir hängen an ihnen.«
Der Präfekt musterte ihn missmutig. »Wieso steht diese Frau dann wie ein gewöhnlicher Garkoch vor der Tür des dänischen Hauses?«
»Oh«, rief Knud mit dem Ausdruck der Überraschung. »Wo sollte sie sonst stehen? Selbstverständlich darf sie nicht ins Haus! Wir sind alle tonsuriert, Herr Vorsteher, wir alle sind gehorsame Diener unserer und Eurer Kirche!«
Der Prévôt und seine Gehilfen bekreuzigten sich geschwind.
»Ich würde keine Frau im Haus dulden«, setzte Knud fort, »und Frau Talèk war so großzügig, auf diese Abmachung einzugehen, die sie möglicherweise geschmerzt hat, weil sie sich damit in ein falsches Licht setzte.«
»Ich habe von Orgien auf diesem Platz gehört«, warf einer der Begleiter des Vorstehers nörgelnd ein.
»Ganz recht, das ist einmal passiert«,
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