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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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seine Forderungen an die Kranken. Was er kann, kann ich auch.«
    Taleke schüttelte besorgt den Kopf. Was er sagte, war einfach nicht wahr. Nicolaus hatte noch mehr als zweieinhalb Jahre Lehrzeit vor sich, bevor er freigesprochen werden würde. Er überschätzte sich maßlos. Das hatte wohl damit zu tun, dass er sein Fachgebiet nicht überschauen konnte, im Gegensatz zu ihr, die genau wusste, was er alles durcharbeiten musste, aber vor sich herschob.
    »Lass uns nach oben gehen und essen«, meinte sie versöhnlich, um Nicolaus’ Stimmung wieder aufzuheitern. »Ich habe etwas Gutes vorbereitet. Und nach dem Essen machen wir uns über das
Liber de febribus
her, ja? Fieber wird dir aus vielen Anlässen begegnen.«
    Nicolaus knurrte und rümpfte die Nase. »Immer nur lernen. Mir hängt das zum Hals heraus.«
    »Wirklich?«, fragte Taleke überrascht. »Mir nicht. Ich finde es herrlich.«
    »Du bist ja auch eine Frau. Frauen haben genügend Muße dazu, auch wenn ihr kaum versteht, was ihr lest. Männer haben die Muße nicht.«
    »Wieso verstehen Frauen nicht, was sie lesen?«
    »Hast du nicht eben ein Beispiel davon selbst geliefert? Fieber ist eine Krankheit, und du weißt es nicht einmal. Außerdem fällt es in das Gebiet der Schulmediziner, nicht in das der Chirurgen.«
    Taleke zog es vor, zu schweigen. Nach allem, was sie bisher gelesen hatte, war Fieber eine Begleiterscheinung, nicht die Krankheit. Und Männer, denen die Muße fehlte! Sie hatten ihre Burg oder ihr Gut zu verteidigen und ihre Streitmacht gegen Bischöfe und Könige zu führen, sofern sie beides besaßen. Oder auf monatelange gefährliche Handelsfahrt zu gehen, oder die Geldsäcke zu zählen, die ins Handelskontor geschleppt wurden. Und obwohl das alles für diesen Sohn eines Kaufmanns nicht zutraf, diente es ihm trotzdem als Ausrede für seine Faulheit.
    Trotz ihrer finsteren Gedanken gelang es Taleke, Nicolaus ein schmackhaftes Abendessen vorzusetzen, was ihn einigermaßen bei Laune hielt. Diese heiterte sich sogar sichtlich auf, als Taleke ihm das Geldsäckchen überreichte.
     
    Am nächsten Morgen rief jemand auf der Gasse nach Nicolaus. Eine Nachbarin, die Taleke vom Sehen kannte. Während die verhärmte, noch gar nicht so alt wirkende Frau die Stiege heraufkeuchte, versuchte Taleke sich vorzustellen, was sie zu ihnen führte. Sollte sie eine Gans haben wollen oder eine gute Leber? Die Gans, die sie am Mittag verkaufen wollte, befand sich bereits am Spieß. Der Duft nach knuspriger Haut zog schon ins Treppenhaus, und es wurde Zeit, sie zu drehen. Die Nachbarin allerdings sah nicht so aus, als ob sie sich einen solchen Festbraten leisten könnte.
    Schnaufend erkundigte sie sich, ob Meister Nicolaus am Abend zu ihnen kommen könne.
    Taleke erschrak und druckste herum.
    »Mein Junge hat ein böses Eitergeschwür am Fuß«, erklärte die Nachbarin ungeduldig, als sie zu Atem gekommen war. »Da muss jetzt etwas gemacht werden, wenn er seine Arbeit als Lastenträger behalten will.«
    Schließlich fiel Taleke ein Ausweg ein. »Am besten gehst du zu Maître Josses Wohnung, beschreibst ihm, was mit deinem Sohn passiert ist und lässt ihn entscheiden, ob er Nicolaus schicken kann oder selbst kommen möchte.«
    »Ich hab mir schon gedacht, dass du unfreundlich bist«, keifte die Nachbarin. »Eine Hure, die einem Scholar aus einem fremden Land nach Paris folgt, ist nur am eigenen Wohlergehen interessiert! Wenn ich mir Meister Josse leisten könnte, würde ich zu ihm gehen, was denkst du denn?«
    Mit dieser bösen Rede drehte sie sich auf den Hacken um und polterte wieder nach unten. Taleke sah ihr stumm nach. Ob alle Nachbarn sie für eine Hure hielten?
     
    Die nach gebratenen Gänsen gierenden dänischen und deutschen Scholaren kamen wie eine Flutwelle über Taleke; sie forderten mehr Gänse, als vorhanden waren, und dann mischten sich auch noch flandrische Studenten unter die Käufer. Lauthals verlangten sie die Zusicherung, dass Taleke nach der Fastenzeit, am Jahresanfang, der auch der Beginn des neuen Kirchenjahres war, wieder mit ihrem Wärmeöfchen erscheinen würde.
    »Ich werde sie dazu überreden«, verkündete Nicolaus großspurig, der wieder einmal gekommen war, um sie nachmittags abzuholen.
    Seine gute Laune sprach dafür, dass er einen weiteren Patienten behandelt und Geld erhalten hatte. »Was erzählst du denn da?«, fragte Taleke ärgerlich, als sie außer Hörweite der Studenten waren. »Ich habe nicht noch mehr Schlachtgänse! Am

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