Die Heilerin von Lübeck
war.
Dank ihrer praktischen Schulung durch Cateline begriff Taleke schnell, worin ihre Arbeit bestehen sollte: das Mädchen in der richtigen Position festhalten und das Blut in Josses Arbeitsfeld abtupfen.
Es kam jedoch nur tropfenweise, und die Operation war schneller beendet, als Taleke erwartet hatte. Sie war nicht entfernt so geheimnisvoll wie das Aufhebens, das um Trotas Beschreibung gemacht wurde.
»Es dreht sich einfach darum, den aufgerissenen Eingang wieder zu verengen, Taleke«, sagte Josse nüchtern, als er Nadel und Spreizklammer abwischte. »Handwerk eben. Einfacher als viele andere Eingriffe.«
»Und womit habt Ihr Isabelle in diesen tiefen Schlaf versetzt? Ist es das, was man als Theriak bezeichnet?«
»Nein. Ich verwende kein Theriak. Die Gefahr des Theriaks liegt vor allem darin, dass der Apotheker unehrlich sein könnte und Billiges für Teures ausgibt oder dass er mit vermeintlich richtigen, aber unwirksamen Zutaten beliefert wurde. Je mehr Bestandteile in einem Arzneimittel, desto größer die Gefahr der Fälschung. Und Theriak enthält unzählige.«
»Aha.«
»Mein Mittel ist Aqua vitae, in dem ich Schlafmohn auflöse. Seine Wirkung ist einigermaßen berechenbar, im Gegensatz zur Alraune, die manche Chirurgen anwenden. Die Alraune genießt einen seltsamen Ruf, obwohl sie doch nur eine Pflanze ist wie viele andere und kein Zaubermittel. Aber man muss auch bei Mohn Erfahrung in der Zubereitung und Anwendung haben, zumindest einen Lehrherrn, der darüber verfügt.«
»Würdet Ihr mich in der Kunst der Zubereitung des Mohnsaftes unterrichten?«, fragte Taleke sofort.
»Ihr lasst wohl nichts aus, was Euch von Nutzen sein könnte.«
»Nein, auf dem Gebiet der Heilkunst nicht.«
»Ich werde darüber nachdenken. Jetzt zu unserer Isabelle. Kurz vor Mitternacht wird eine Sänfte vor meinem Haus eintreffen, in der ihr beide Platz habt. Ihr wisst also ganz bestimmt, wo Isabelles Amme wohnt?«
»Isabelle hat an alles gedacht«, beteuerte Taleke. »Sie ist außerordentlich vernünftig. Der Mann, den sie heiraten soll, muss dankbar sein, eine solche Ehefrau zu bekommen. Ich erhielt von ihr die Wegbeschreibung und habe mich mit der Amme abgesprochen.«
»Gut. Ich gebe Euch Weidenrinde mit. Erklärt der Amme, wie sie daraus einen Sud herstellen und Isabelle einflößen soll, falls sie über Schmerzen klagt.«
»Ihr denkt auch an alles«, bemerkte Taleke bewundernd.
»Außer an eifersüchtige Kardinäle, die mir beruflich den Garaus machen. Der eine befand sich damals außerhalb meines Blickwinkels. Aber Ihr wisst ja nun, worauf Ihr zu achten habt.«
»Ich werde allen Kardinälen aus dem Wege gehen«, versprach Taleke feierlich.
Danach hieß es warten.
Taleke musste selber eingeschlafen sein, denn Maître Josse weckte sie sanft, um ihr mitzuteilen, dass die Sänfte warte.
Erleichtert stellten sie fest, dass Isabelle allmählich zu sich kam. »Die Wirkung von Schlafmohn kann durchaus doppelt so lange anhalten«, bemerkte Josse leise. »Meistens ist das gut, weil der Behandelte die ersten schmerzhaften Stunden verschläft. In diesem Fall ist es natürlich unauffälliger, wenn Isabelle wach ist.«
Taleke nickte.
Nicolaus war Taleke gegenüber nicht blind. Die Art, wie sie sich von ihm verabschiedet hatte, war ihm sonderbar vorgekommen. Außerdem pflegte Cateline ihren missratenen Enkel zu schicken, wenn sie Talekes Anwesenheit wünschte. Das Gefühl, dass Taleke zunehmend ohne sein Wissen und sein Einverständnis agierte, machte ihn rasend.
Er beschloss, Taleke zu beobachten. Er war vorsichtig genug, um rechtzeitig die Sänfte zu entdecken, deren Träger ihr folgten. Seltsamerweise hatte sie sich als Bettlerin ausstaffiert. Als sie von der Rue Saint-Denis abbog, ging ihm auf, dass dies der Weg zu Josses Behausung war und vermutlich der Beginn eines verbotenen Eingriffs.
Bestätigt fühlte er sich, als er sah, dass eine Frau, deren Bewegungen auf Jugendlichkeit schließen ließen, der Sänfte entstieg und ebenso wie Taleke Josses Haus betrat.
Ein Chirurg, der sich nachts an einer jungen Frau zu schaffen machte! Ohne seinen Schüler einzubeziehen! Hingegen das Weib Taleke, das ohne mit der Wimper zu zucken seinem Vater verraten würde, dass er, Nicolaus, ein Sodomit war. Ihn packte blinde Wut. Während er mit der geballten Faust an die nächste Hauswand schlug, gewann mit dem Schmerz sein kaufmännischer Verstand Oberhand.
Was sollte hier eigentlich vertuscht werden? Möglicherweise ließen
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