Die Heilerin von Lübeck
Heilung gehört. Bei den Frauen, die wir betreuen, tut es das jedenfalls nicht. Unangenehmer Geruch ist immer ein Alarmzeichen.«
»Ich werde nichts dergleichen tun. Mein eigener guter Ruf, nicht Josses, brachte mir den Auftrag ein, den Jungen zu behandeln. Josse weiß nichts davon. Und Gestank gehört zum Leben. Besonders bei Frauen.«
»Ach so«, meinte Taleke lakonisch.
Nicolaus packte sie mit hartem Griff an der Schulter und drehte ihr Gesicht mit der anderen Hand so, dass sie gezwungen war, ihn anzublicken. »Wenn du etwa vorhättest, Josse davon zu unterrichten, Taleke, würde ich abraten. Ihr habt euch beide einer jungen Adeligen angenommen. Man möchte meinen, in einer Weise, die weder Mutter Kirche noch dem französischen König gefallen würde. Stimmt’s?«
Taleke sank mit einem Laut des Erschreckens auf den Hocker. Sie dachte gar nicht an Widerspruch.
»Wer ist sie, diese angebliche Jeanette?«
Taleke schüttelte den Kopf, obwohl sie Angst hatte.
»Wer sie ist, will ich wissen!«
Mit einem Rest von Widerstandskraft schwieg Taleke hartnäckig. Doch Nicolaus hatte anscheinend nicht vor, sie zu schlagen.
»Ich werde herausbekommen, wer sie ist, da sei ganz sicher«, setzte er überlegen fort. »Bestimmt ein Weib aus allerhöchsten Kreisen. Und es könnte sich als nützlich erweisen, die ganze Geschichte zu kennen. Möchtest du sie mir erzählen?«
Taleke sammelte sich mit Mühe. »Nein. Aber ich kann dir eine andere Geschichte erzählen. Ich habe dich mit einem älteren, vornehmen Mann in die Stadt zurückreiten sehen. Wahrscheinlich könnte mir Josse auf Anhieb sagen, wer er ist, wenn ich ihn beschreibe.«
»Na und?«
»Du bist auf Hengist geritten, den du angeblich verkauft hast, und warst mit einer Schecke bekleidet, die ich hier in der Wohnung nie gesehen habe. Hat er sie bezahlt, damit er sich mit dir sehen lassen kann? Ich will es dir auf den Kopf zusagen: Ihr beide seid durch Sodomie verbunden!«
Das Blut stieg Nicolaus jetzt doch ins Gesicht. Er wandte sich ab und wusste nichts zu erwidern.
»Was täte dein Galan, wenn ein solches Gerücht die Runde machte? Als Erstes würde er dafür sorgen, dass dein Mund für immer verschlossen wird, Nicolaus. Aber das wäre zu spät, man würde es trotzdem dem König zutragen. Und was würde der tun? Glaubst du, er könnte ein Mitglied des Adels, Verwandter oder nicht, schonen, während er sämtliche Tempelritter unter der Anklage der Sodomie hinrichten lässt?«
Nicolaus drehte sich ihr wieder zu, verschränkte die Arme und betrachtete sie abschätzig. »Du hast eine Menge gelernt, seitdem ich dich als Bettlerin aufgenommen habe.«
»Man kann in einer Schenke für einen Scherf etwas lernen, was zehn Silberlinge wert ist, sagt man. Das stimmt.«
»Bist du deshalb mit mir mitgegangen? Ich dachte, du mochtest mich«, murmelte Nicolaus beleidigt.
Das Sprichwort hatte gut getroffen. Da Taleke schon zu weit gegangen war, um auch nur eines ihrer Worte zurückzunehmen, war sie entschlossen, jetzt alles auf den Tisch zu legen, was sie drückte. »Das stimmt. Und ich bin mitgekommen, weil du Spaß haben und dabei nicht allein sein wolltest. Dass sich hier alles anders entwickeln würde, konnten wir beide nicht ahnen. Plötzlich aber brauchtest du mich: erst zum Vorlesen und dann als Schutzschild gegen die Sodomitenjäger.«
»Du wurdest gut entlohnt.«
»Mit Kost und einer Schlafmatte«, bestätigte Taleke kühl. »Alles andere habe ich mir selbst zu verdanken. Vergessen wollen wir beim Aufrechnen auch nicht, dass du deine Lehre ohne mich kaum zu Ende bringen könntest. Als Scholar hättest du dich zwischen vielen anderen verstecken können, als Lehrling aber bist du auf mich angewiesen, weil du kaum lesen kannst.«
»Das kommt nur von den Blattern, die ich als Kind hatte und die mir auf die Augen schlugen!«, fauchte Nicolaus, wütend, sich derart bloßgestellt zu sehen. »Ich war bei meiner Geburt makellos.«
»So?«
»Der Herr kann es bezeugen«, bemerkte Nicolaus mit frommem Augenaufschlag. »Wir haben beide viel zu verlieren, Taleke. Wir sollten unsere gegenseitigen Geheimnisse bewahren.«
»Das Abkommen gilt, Nicolaus!« Taleke sprang auf und strich sich mit gesenktem Kopf den Rock glatt, damit er ihr die Erleichterung nicht vom Gesicht ablesen konnte. Keine Schläge heute. Sie hatte schon das Schlimmste befürchtet, bevor ihr eingefallen war, wie sie ihn vielleicht in Schach halten konnte.
Einen Augenblick später belehrte sie ein
Weitere Kostenlose Bücher