Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
ebenso wie Annibale in den Brunnen und lachte leise. »Ihr seid mein Arzt. Soll ich von dem Wasser trinken? Das Wundermittel erproben, bevor der Brunnen für immer begraben wird?«
Annibale lachte. »Tut Euch keinen Zwang an, mein Bester, denn das Wasser wird Euch weder umbringen noch heilen. Wann beginnt Ihr mit der Kuppel?«
»Heute.«
Annibale blickte zum Himmel empor. Er war so blau wie ein Entenei und mit kleinen Wolken übersät, unter deren fedrigen Bäuchen er tiefer indigoblau schimmerte. Es erschien unmöglich, einen Teil davon unter einer Kuppel verschwinden zu lassen, aber heute hielt Annibale alles für möglich. Palladio würde es zuwege bringen.
Er betrachtete den alten Mann. Vielleicht lag es an dem Licht im Freien, aber der Architekt schien ihm nie gesünder ausgesehen zu haben. Er hatte eine gleichmäßige Gesichtsfarbe, atmete kräftig und regelmäßig, und seine Augen blickten hell und klar. Annibale öffnete den Mund, um sich nach Palladios Befinden zu erkundigen, stellte ihm dann aber eine ganz andere Frage.
»Was bedeutet Euer Name?«
»Verzeihung?« Der alte Mann wirkte verwirrt.
»Euer Name. Palladio. Was bedeutet er?«
»Mein erster Herr, Gian Giorgio Trissino, gab ihn mir«, entgegnete Palladio. »Er leitet sich von der Göttin der Weisheit Pallas Athene ab.«
Annibale lächelte. Im Moment entlockte ihm alles ein Lächeln. »Ich dachte mir schon etwas in der Art. Wie lautet denn Euer richtiger Name?«
»Andrea di Pietro della Gondola. Aber an Palladio können sich die Leute besser erinnern. Und ich möchte, dass man sich an mich erinnert, vor allem dieser Kirche wegen.« Er schien zu erschauern.
»Das wird man«, versicherte ihm Annibale. »Ihr werdet sie mühelos vollenden; Ihr wart klug genug, auf Eure Gesundheit zu achten.« Er war Palladio wohlgesonnen, war der ganzen Welt wohlgesonnen. Er gab sogar eine höfliche Antwort, als sich der Zeichner mit dem wilden Haarschopf nach Feyra erkundigte. Es war eine Freude, ihren Namen zu hören, eine Freude, von ihr zu sprechen. »Es geht ihr gut«, erwiderte er. »Sie lässt Euch grüßen.«
Nachdem er einmal begonnen hatte, von ihr zu sprechen, hätte er am liebsten ununterbrochen weitergeredet, ständig ihren Namen wiederholt, jede Kleinigkeit zum Besten gegeben, die sie ihm gegenüber je geäußert hatte. Er musste sich verabschieden, bevor er sich verriet. Also entschuldigte er sich bei den beiden Männern und rannte zu dem traghetto zurück, als wäre der Teufel hinter ihm her.
Während er sich über die Lagune rudern ließ, beobachtete Annibale voller Freude, wie die Schatten des späten Nachmittags immer länger wurden, da jeder Zentimeter, um den sie wuchsen, ihn der Nacht und Feyra näher brachte. Kaum, dass der Bootslenker das Boot an der kleinen Mole vertäut hatte, sprang er auch schon an Land, entlohnte den Mann großzügig und grüßte, als er das Torhaus passierte, nicht nur Bocca, sondern auch den Zwerg. Ein leichter Schauer lief ihm über den Rücken, als er am Krankenhaus vorbeikam, weil er wusste, dass sie darin beschäftigt sein würde. Ihm so nah.
Dieses eine Mal betrat er das Tezon nicht, sondern begab sich auf direktem Weg zu seinem Haus. Vor dem heutigen Abend wollte er sie nicht bei den Patienten sehen, wollte nicht Seite an Seite mit ihr arbeiten, ohne sie berühren zu dürfen. In der Ecke bei dem Feuer hatte er ein kleines Bett aufgestellt, damit die ersterbende Glut sie nachts wärmte, und es mit seiner besten Decke und seiner besten strohgefüllten Matratze versehen. Mit einer Hand strich er über das glatte Laken, auf dem sie beide heute Nacht liegen würden.
Gegen seinen Willen hörte er erneut die Stimme der Badessa des Miracoli-Ordens. Als er ihr beiläufig mitgeteilt hatte, dass die Hütte neben der Kirche für die wachsende Familie Trianni frei werden würde, hatte sie ihn streng gemustert.
»Was wollt Ihr mit diesem Mädchen?«, fragte sie. »Sie ist Waise, unverheiratet und weit weg von ihrer Heimat. Ihr seid unverheiratet. Weitaus schwerer wiegt es, dass ihr verschiedenen Glaubensrichtungen angehört. Ihr ist die ewige Verdammnis gewiss, aber Ihr könnt noch gerettet werden. Daher kommt es auch überhaupt nicht in Frage, dass Ihr um sie anhaltet, und wenn Ihr in Sünde mit ihr zusammenlebt, bringt Ihr Eure unsterbliche Seele in Gefahr. Lasst sie in Ruhe.«
»Von einer derartigen Beziehung kann keine Rede sein«, log er. »Sie wird unten am Feuer schlafen. Wollt Ihr mir ein Hausmädchen
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