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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Allmächtigen nicht ebenso halten sollte. Also beriet er sich mit seinem himmlischen Patron bezüglich des Stils der Säulen und der Fliesenmuster und erwartete keine Antwort von ihm. Aber jetzt erbat er sich im Gegenzug etwas – sein erstes Bittgebet.
    Gib mir Zeit, Herr, betete er. Gib mir nur noch etwas Zeit.
    Es war schon später Nachmittag, als Annibale Palladio endlich aufspürte. Er war zuerst zu dem Haus am Campo Fava gegangen und hatte mit seinem Stock gegen die Tür mit dem goldenen Zirkel darüber gehämmert. Die dicke Köchin hatte ihm geöffnet und gesagt, ihr Herr wäre zu der Baustelle auf Giudecca gefahren. »Er ist jeden Tag dort«, sagte sie. »Er und Zabato kommen immer wie zwei Geister zurück, so weiß sind sie vom Steinstaub.«
    Annibale nickte. Er bemerkte, dass Feyras Sicherheitsvorkehrungen, die reinigenden Kräuter und Weihrauchkerzen, im Atrium eingehalten worden waren, wies die Köchin an, auch weiterhin so zu verfahren, und verließ das Haus. Es bereitete keine Mühe, auf dem Heimweg kurz einen Abstecher nach Giudecca zu machen. Beschwingten Schrittes ging er nach Zattere, um ein traghetto zu suchen, und dachte an Feyra.
    Während er in dem Boot stand und in Richtung von Giudecca blickte, stellte er sie sich so vor, wie sie aussah, wenn sie den Rasen vor dem Tezon überquerte. Sie hielt den Blick stets unverwandt nach vorne gerichtet wie die Galionsfigur eines Schiffs, wieder die Verkörperung der Maria di Legno, in ihrer Zielstrebigkeit niemals nachlassend. Er dachte an ihre zimtfarbene Haut und die bernsteingelben Augen. Er konnte nicht glauben, dass sie ab dem heutigen Abend in seinem Haus leben würde.
    Seit sie ihm die Bedeutung ihres Namens erklärt hatte, war er von ihrem Mund besessen, diesem seltsamen, wie umgedreht wirkenden Mund, dessen Oberlippe ein wenig voller war als die untere. Er fragte sich, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn er auf ihr lag und sich ihre Körper und ihre Münder aufeinanderpressten.
    Der dumpfe Schlag, mit dem das traghetto gegen den Pier prallte, riss ihn aus seinen Gedanken. Annibale warf dem Bootslenker eine Zechine zu, sprang leichtfüßig wie ein Spielmann an Land und nahm die Kirche zum ersten Mal bewusst wahr.
    Da er mit der Topografie von Giudecca aufgewachsen und an die zerklüftete Ruine des Klosters von San Sebastiano gewöhnt war, empfand er die Fortschritte, die Palladios Gotteshaus machte, als überwältigend. Was für ein wunderbarer Platz, um eine Kirche zu errichten! Sie war bislang nur ein rechteckiges Steinprisma ohne Turm oder Campanile, aber dennoch bereits das höchste Gebäude der Insel. Deshalb erinnerte sie Annibale an einen Tempel des Ostens, und die breite Säulenplatte am Eingang verstärkte diesen Eindruck. Die Fassade könnte die eines Tempels in Jerusalem oder eines Parthenons in Athen oder – hier erschauerte er vor Freude – eines Schreins in Konstantinopel sein. Annibale zählte fünfzehn Stufen bis zu den Türen und stürmte jede einzelne empor.
    Drinnen empfing ihn ein Chaos aus Erde und Steinen. Eine erstickende weiße Staubwolke hing in der Luft, und eine ohrenbetäubende Kakophonie aus den Hammerschlägen der Steinmetze, den Rufen der Männer und dem Knarren der komplizierten Winden und Flaschenzüge, mit denen die Blöcke in die Höhe gezogen wurden, schlug ihm entgegen.
    Mit Pflöcken und vielfarbigen Seilen war ein kreuzförmiger Weg markiert worden, in dessen Mitte dort, wo Christus hängen sollte, Palladio und sein Schatten standen, der struppige Zeichner. Annibale strahlte die beiden an, vergaß dabei aber, dass er seine Maske trug. Als sie ihn sahen, schlug sich Palladio gegen die Stirn.
    »Verzeiht mir, Dottore. Ich hatte vergessen, dass heute Freitag ist. Wir debattieren gerade darüber, was mit dem Brunnen passieren soll.«
    Annibale tauchte seinen Schnabel in den zerbröckelnden Schacht. Er wirkte sehr alt. »Worin besteht euer Problem? Schüttet ihn zu.«
    »Das lag eigentlich auch in meiner Absicht«, erwiderte der Architekt, rieb sich aber immer noch unschlüssig den Bart. »Und trotzdem ist er ein Ziel für die Gläubigen. Meine Steinmetze schicken täglich Pilger weg, die verzweifelt nach einem Mittel gegen die Pest suchen. Ich dachte, ich könnte ihn vielleicht in den Gesamtentwurf eingliedern, aber Zabato sagt, der Brunnen würde direkt unter der Mitte der Kuppel liegen. Und da natürlich nichts von deren Pracht ablenken darf, fürchte ich, er muss doch verschwinden.« Palladio blickte

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