Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
Familie und brachte im Namen ihres Sohnes milde Gaben mit: Schalen mit Eintopf, frische Zitronen oder Süßigkeiten für die Kinder. Sie nähte mit den Nonnen Matratzen und raffte sogar ihre Röcke, um im Garten zu arbeiten. Täglich besuchte sie den Gottesdienst und erregte das Mitleid der Nonnen, indem sie von ihrem elenden Leben und ihrer aufrichtigen Reue erzählte, und sie beichtete der Badessa fast jeden Tag ihre Sünden, weil die Beichte ihr eine weitere Gelegenheit bot, über sich selbst zu sprechen.
Das eigenartige, verschleierte Mädchen, das schweigend, kompetent und offenbar sehr eng mit ihrem Sohn zusammenarbeitete, war Columbina ein Dorn im Auge. Voller Eifersucht hatte sie anfangs versucht, ihr zu schmeicheln, aber das fremdländische junge Ding schien als einziger Mensch auf der Insel gegen ihren Charme immun zu sein, wenn man von der schwachsinnigen Missgeburt einmal absah. Columbina hatte den Zwerg ein- oder zweimal dabei ertappt, wie er sie anstarrte, und ihm zur Strafe dafür in seine hässliche Fratze geschlagen. Das schweigsame Mädchen war sofort herbeigeeilt und hatte ihm eine Salbe für den Kratzer gegeben, den Columbinas Ring hinterlassen hatte. Die ältere Frau hatte das unbehagliche Gefühl beschlichen, dass die bernsteinfarbenen Augen des Mädchens bis auf den Grund ihrer Seele blicken konnten.
Von da an ignorierte sie die Muselmana nicht mehr, sondern bekreuzigte sich jedes Mal, wenn sie sie sah, und spuckte vor ihr aus, wie es sich für eine gute Christin gehörte, auch wenn sie sich in der Gegenwart ihres Sohnes ein solches Benehmen wohlweislich verkniff. Bald begannen einige der jüngeren Nonnen ihrem Beispiel zu folgen, und die zunehmende Isolation der Ungläubigen bestärkte Columbina in ihrer Ansicht, Gottes Werk zu tun.
Die Badessa der Schwesternschaft des Miracoli-Ordens war eine gute Menschenkennerin, und sie ließ sich von Columbina Cason nicht so leicht täuschen.
Die Äbtissin erkannte wahren Glauben, wenn sie ihn sah – zum Beispiel bei Bocca, dem Torhüter, der wahrhaft fromm war –, aber den endlosen Beichten der Mutter des Doktors hatte sie entnommen, dass die Frau ebenso wenig gläubig war wie ihr Sohn. Und die würdevolle Art, mit der Feyra Columbina Casons Beleidigungen hinnahm, nahm sie noch mehr für das Mädchen ein.
Daher hatte sie Feyra, als diese ungefähr eine Woche nach Columbina Casons Ankunft an der Kirchentür aufgetaucht war, warm begrüßt. Das Mädchen sah furchtbar elend aus. »Stimmt etwas nicht?«
»Nein, nein«, wehrte Feyra flüchtig ab, aber ihre Miene strafte ihre Worte Lügen. »Ihr müsst nur den Triannis sagen, dass sie vorerst noch nicht umziehen können. Ich brauche das Haus noch ein wenig länger.« Sie wandte sich hastig zum Gehen, aber der Badessa war der feuchte Glanz in ihren Augen trotzdem nicht entgangen.
Sie rief das Mädchen zurück. Feyra würde weder freiwillig über die Schwelle der Kirche treten, noch würde die Badessa es ihr gestatten, daher trat die ältere Frau ins Freie. »Geht es dir nicht gut?«
Feyra hatte sich wieder gefasst. »Mir fehlt nichts.«
Es war nicht die Art der Badessa, sich einzumischen, aber sie hatte das, was sie dem Arzt gesagt hatte, ernst gemeint. »Wenn ich … ich schätze, irgendetwas hat verhindert, dass du mit unserem Doktor unter einem Dach lebst, und ich wage zu behaupten, dass das ein Segen sein könnte.«
Die Andersgläubige richtete ihre schönen Augen auf sie. »Wäre es denn so schlimm gewesen, wenn Liebe im Spiel ist?«
Die Badessa musterte sie mitleidig, sprach aber mit großer Entschiedenheit. »Das, was du meinst, ist eine Sünde, eine Sünde gegen die christlichen Gebote.« Doch als sie zusammen zum Friedhofstor gingen, lenkte sie ein. »Ihr gehört zwei verschiedenen Glauben an, aber vielleicht gibt es einen Weg, euch zusammenzubringen. Wenn du die christliche Bibel, das Buch der Bücher, liest und studierst, könntest du im Lauf der Zeit in die Familie Gottes aufgenommen werden. Dann, und nur dann wäre es dem Doktor möglich, seine Beziehung zu dir zu legalisieren.«
Die fremdartigen gelben Augen des Mädchens weiteten sich noch mehr. Sie sah aus, als wäre ihr die Vorstellung ein Gräuel, doch im nächsten Moment veränderte sich ihr Blick wie die Lagune, wenn eine Brise kleine Wellen über sie hinwegtrieb. »Ja«, erwiderte sie. Ihre Worte überschlugen sich fast. »Ja. Wenn Ihr es erlaubt, würde ich mir gern eine … Bibel ausleihen.«
Feyra hatte nicht die Absicht,
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