Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
Türkin war. Feyra, die sich nur zu gut an ihre Flucht vom Dogenpalast erinnerte, lauschte seinen Anweisungen aufmerksam und bemühte sich, einen venezianischen Zungenschlag nachzuahmen.
Mamma Trianni ging zu der Truhe unter dem kleinen Fenster und klappte sie mit großer Geste auf. Unglaublich grüne Stofffalten quollen wie ein Wasserfall heraus. Die Farbe glich genau der der Lagune an einem wolkenverhangenen Tag, ein sattes, schimmerndes Grün von kleine Wellen schlagendem Wasser. Mit Hilfe ihrer Tochter Valentina zog die alte Frau das Kleid heraus und hielt es in die Höhe, damit Feyra die kunstvolle Arbeit von Mieder und Ärmeln bewundern konnte. Sie nahm es Mamma Trianni voller Ehrfurcht ab – es war unglaublich schwer – und sah, dass die wahre Kunst in der Anfertigung des grünen Mieders lag, das in Schnörkelformen, die den Wellen der Adria nachempfunden waren, mit winzigen Glasperlen bestickt war.
Feyra entkleidete sich rasch und streifte das grüne Kleid über, das sich auf ihrer warmen Haut kühl und schwer anfühlte.
Mutter und Tochter hörten auf zu schwatzen, als Feyra zum Fenster ging. »Sieht es gut aus?«, fragte sie zaghaft. Es gab keinen Spiegel im Raum, daher konnte sie nicht sehen, was die anderen sahen. Doch just in diesem Moment trat Annibale ein, und ihre Zweifel verflogen.
Annibale stand mit offenem Mund wie angewurzelt da. Seine Feyra war so verwandelt wie eine Raupe, die zu einem Schmetterling geworden war. Sie hatte den Ozean zwischen Byzanz und Venedig überquert und war als Venus des Westens wiedergeboren worden. Das grüne Gewand fiel bis zum Boden und unterstrich ihre Größe, und ihre goldfarbenen Schultern erhoben sich aus dem kristallenen Mieder. Der raffinierte Schnitt ließ ihre Taille besonders schmal erscheinen. Das Kleid war in einem einzigen Farbton gehalten, der ihre Haut warm glühen ließ und ihren Bernsteinaugen Feuer verlieh. Mamma Trianni flatterte um sie herum und zupfte überflüssigerweise hier und dort etwas zurecht.
»Jetzt bin ich an der Reihe.« Valentina erhob sich. »Es dauert nicht lange, Dottore.«
Annibale lehnte sich verzückt gegen den Türrahmen.
»So, das Haar. Zuerst werden wir es lösen.« Der Schleier wurde abgenommen, und Annibale sah Feyras Haar zum ersten Mal offen auf die Schultern fallen. Er hatte versucht, anhand der kleinen Locken, die unter ihren Schleiern hervorlugten, die Farbe zu bestimmen, aber diese winzigen Hinweise waren zu verwirrend. Manchmal waren die Strähnen kupferfarben, manchmal dunkel wie Tintenfischtinte, manchmal glänzend wie Kirschholz. Jetzt konnte er die ganze Farbskala von Gold- und Brauntönen in ihrem Haar erkennen.
»Gesumaria, so dicht! Und all diese Farben!«, rief Mamma Trianni begeistert und fasste so seine Gedanken in Worte. Annibale verfolgte, wie Valentina die schimmernde Masse zu einem lockeren Knoten in Feyras Nacken schlang und ein perlenbesetztes Netz darüberzog, unter dem sich rund um die Ohren ein paar Locken ringelten.
Zum ersten Mal sah er, dass an dem schlichten Band, das Feyra um den Hals trug, ein Ring hing. Einen Moment lang fürchtete er, es könne sich um ein Andenken an eine frühere Liebe handeln, aber wie auch immer sie dazu gekommen sein mochte, das schlichte Schmuckstück passte hervorragend zu dem grünen Kleid und dem zusammengeschlungenen Haar.
Sowie Valentina ihr Werk beendet hatte, reichte Annibale Feyras die prachtvolle weiße Pferdemaske. Er hatte sie in der Hoffnung ausgesucht, ihr damit eine Freude zu machen, konnte sich aber nicht erklären, warum sie bei ihrem Anblick vernehmlich nach Luft schnappte.
Annibale stellte fest, wie verändert sie wirkte, als sie sich die Maske vor das Gesicht hielt: Sie beraubte ihre Züge jeglichen Ausdrucks, nur Feyras Augen glitzerten verführerisch dahinter. Ihre Schönheit jagte ihm Angst ein. Sie war jetzt ein Geschöpf, das jeden Mann betören würde, nicht mehr seine Feyra, mit der er am Feuer gesessen hatte. Aber er behielt seine Gedanken für sich und fragte nur: »Bist du bereit?«
Annibale bot Feyra seinen Arm, als sie die Rasenfläche überquerten, und sie ergriff ihn, so wie es schicklich war. Er trug ihr auch den Kasten mit den Flaschen bis zum Pier. Die Glasfläschchen klirrten im Gleichklang mit ihren sich nervös überschlagenden Gedanken. Die schweren Röcke zerrten an ihren Hüften, und sie fragte sich, wie sich die Venezianer ihren Karnevalsausschweifungen hingeben konnten, wenn sie durch ihre Kleider so behindert
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