Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
zu Kuppeln zu krümmen, und eine Klinge, die gerade statt gebogen ist? Hast du jemals Glas gesehen, das wie ein Edelstein schimmert, und Paläste, deren harter Stein so bearbeitet ist, dass er wie zarte Spitze wirkt? Und jetzt plant mein Sohn den perfidesten Anschlag auf Venedig, und nur du kannst ihn verhindern.«
»Ich?«
»Ja, Feyra, du. Du bist meine Kira, das Bindeglied zwischen mir und der Welt. Aber die Welt ist größer als diese Stadt. Ich muss dich auf einen sehr schweren Botengang schicken.«
»Warum mich?«
»Um das zu verstehen, musst du meine Geschichte kennen. Ich wurde als Cecilia Baffo geboren, Tochter von Nicolò Venier und Violante Baffo. Mein Vater war der Herr von Paros, Statthalter all der tausend kleinen Inseln vor der Küste Griechenlands, die man die Kykladen nennt und die unter der Herrschaft Venedigs stehen. Obwohl ich damals in Venedig lebte, hielt ich mich im Sommer 1555 – 962 nach unserer Zeitrechnung – mit meinem Vater auf den Inseln auf.«
Vor einundzwanzig Jahren, dachte Feyra. Bevor sie selbst geboren worden war. »Und dort wurdet Ihr gefangen genommen?«
»In gewisser Hinsicht ja. Zur Feier meiner Verlobung fand in unserem Palast auf Paros ein großer Maskenball statt. Ich sollte Ridolfo Falieri heiraten, einen sehr reichen Mann, und in der Nacht, in der ich ihm anverlobt werden sollte, verliebte ich mich.«
»Demnach war er ein guter Mann?«
»Ganz und gar nicht. Er war alt und grausam und verbittert – es war eine rein dynastische Verbindung. Nein, ich habe mich nicht in ihn verliebt. Auf dem Maskenball war auch ein junger Schiffskapitän, ein Günstling des Sultans, dessen Schiff die Insel angelaufen hat, um Vorräte an Bord zu nehmen. Innerhalb einer Stunde hatte ich mich ihm hingegeben. Die Korsaren waren seine Besatzung. Wir nahmen Pferde aus dem Stall meines Vaters und ritten zum Ufer, und ich ging willig mit ihm. Sicher, ich wollte am liebsten einen ganzen Ozean zwischen mich und Ridolfo legen, aber ich konnte vor allem den Gedanken nicht ertragen, dass der Kapitän ohne mich fortsegelte.«
Feyra knetete das Laken zwischen den Fingern. »Der Mann, in den Ihr Euch verliebt habt, war mein Vater.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Es war dein Vater«, bestätigte ihre Herrin. Sie sah Feyra eindringlich an. »Und als wir Konstantinopel erreichten, war ich in Hoffnung.«
Feyra blieb stumm. Sie sah, dass ihrer Herrin das Sprechen schwerzufallen begann. Sie hörte, wie die Worte ineinander verschwammen und wagte kaum zu atmen. Sie musste unbedingt hören, was als Nächstes kam.
»Ach, Feyra, ich war nicht so vorsichtig, wie du es bist. Ich sehe ja, wie du dich kleidest, welche Mühe du dir gibst, dein Äußeres zu verbergen. Ich war leichtsinnig. Ich ging vor Liebe und der Freude auf mein Kind strahlend in meinen kostbaren venezianischen Gewändern, mit unverhülltem Gesicht und zu Locken frisiertem Haar in Sultanahmet umher. Damals war ich schön, Feyra, ich hatte goldenes Haar, perlweiße Haut und meerblaue Augen. Als ich eines Tages vom Basar nach Hause ging, kam eine Sänfte an mir vorbei – Sultan Selim saß darin. Ein Windstoß wehte den Vorhang ein Stück beiseite, und unsere Blicke trafen sich einen Moment lang. Dieser Moment reichte aus. Am Abend war ich im Harem, erhielt den Namen Nurbanu Afife, und Cecilia Baffo existierte nicht mehr.«
»Was hat mein Vater getan?«
Der Abglanz eines Lächelns huschte über Cecilias Gesicht. »Er tobte und schrie, kam zum Palast, brach mit seinen bloßen Händen die Tür auf und verlangte die Herausgabe seiner Geliebten und des Kindes, das sie trug. Er wurde von den Wachposten zum Sultan gebracht, der ihm sagte, dass das Kind getötet werden würde, wenn es ein Junge war. Es dürfe nicht am Leben bleiben, um zum Rivalen etwaiger legitimer Erben zu werden, die ich ihm gebären würde. Der Sultan selbst wartete bis nach der Geburt, bevor er sich erstmals zu mir legte. Die Monate, die ich auf mein Kind warten musste, waren die Hölle, Feyra.«
»Aber das Kind war ein Mädchen, nicht wahr?«
Feyra hätte Cecilias schwaches Nicken gar nicht als Bestätigung gebraucht. Plötzlich ergab alles einen Sinn: der Umstand, dass sie, so lange sie denken konnte, täglich den Harem besucht hatte; dass ihre Herrin bis heute nie die Stimme gegen sie erhoben hatte; dass Nurbanu selbst sie Lesen, Schreiben und die Sprache ihrer Jugend gelehrt hatte; dass sie ihr Interesse an der Medizin gefördert und ihr eine Ausbildung
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