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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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mitten unter den vier Gestalten sagen: Ein Maß Weizen für einen Silbergroschen und drei Maß Gerste für einen Silbergroschen; aber dem Öl und Wein tu keinen Schaden!«
    Sie sank in die Kissen zurück, und ihre Stimme erstarb wieder zu einem Flüstern. »Es steht geschrieben. Im Buch steht es geschrieben.«
    Feyra wurde nervös. Sie war keinen Deut klüger. Die Valide Sultan verschwendete ihre Kraft. Bald würde sie nicht mehr sprechen können, und sie vergeudete Worte für Gejammer über Wein und Öl?
    »Was für ein Buch?«
    »Ich habe seit Jahren nicht mehr darin gelesen. Sie erlauben es mir hier nicht. Das Buch, das Buch der Bücher. Es berichtet von der Großen Bedrängnis. Komm und sieh, komm und sieh, komm und sieh.«
    Ihre Augen blickten starr, und Feyra wusste, dass die Zeit der Valide Sultan ablief. Sie versuchte es mit einer anderen Frage. »Was kann ich tun?«
    »Timurhan bringt das erste Pferd, das schwarze Pferd, mit seinem Schiff mit. Geh mit ihm, hindere ihn daran. Das rote Pferd ist ihm dicht auf den Fersen. Wenn das dritte Pferd kommt, das weiße, der Eroberer, wird Venedig nicht länger existieren. Dann ist das fahle Pferd der König über alle Reiche, denn es ist das schrecklichste von allen, das alle Menschen fürchten.«
    »Wer ist das fahle Pferd?«
    »Tod.«
    Die einzelne Silbe hallte in dem stillen Hof wider. Sie schien ein Ende zu sein: das letzte Wort. Doch dann drehte die Valide Sultan den Kopf auf dem Kissen und sah Feyra in die Augen. Sie sprach fast normal. »Werde ich sterben?«
    In Feyras Hals schien etwas zu stecken, ein großer, kalter Stein, der ihre Stimme blockierte. Aber sie hatte ihre Herrin noch nie belogen. »Ja.«
    Wie ein kleines Mädchen, als wäre sie die Tochter und Feyra die Mutter, fragte die Valide Sultan mit leiser, ängstlicher Stimme: »Wird es wehtun?«
    Feyra dachte an den Falken, dem sie die Sporen des St.-Bartholomäus-Baums gegeben hatte. Und daran, wie der Vogel zwei, drei Stunden nach der Infektion ausgesehen hatte. Sie dachte daran, wie Nurbanu in einer weiteren Stunde aussehen würde und wie ihre Organe wie die des Falken zu Brei zerfallen würden. Ihr Herz brach. Das Letzte, was sie zu ihrer Mutter sagte, war eine Lüge. »Nein«, erwiderte sie. »Ihr werdet nichts spüren.«
    Eine Stunde später war Feyra so sicher, wie sie nur sein konnte, dass ihre Herrin tot war.
    Die Augen der Valide Sultan standen offen, das Fleisch war mit schwarzen Flecken übersät. Feyra schloss die Augen von der Farbe des Meeres, dieses Meeres und jenes, das Venedig umschloss, und schlich auf Zehenspitzen aus dem Raum.
    Sie wusste, dass es Zeit war, den Arzt zu suchen, also stolperte sie zur Halle des Reinigungsbrunnens zurück. Als sie das letzte Mal hier gestanden hatte, war ihre Welt noch in Ordnung gewesen. Jetzt lag ihre Zukunft ungewiss vor ihr, und sie hatte innerhalb weniger Stunden eine Mutter gefunden und wieder verloren.
    Sie schickte einen der schwarzen Eunuchen nach dem Arzt, und als er kam, sah er wenig besser aus als ihre arme Herrin. Er war grau im Gesicht, zitterte, und sein Turban saß schief. Sie verneigte sich vor ihm. »Es scheint, dass Ihr bereits wisst, was ich zu sagen habe, Lehrer.«
    Haji Musa sah sie an, als habe er in den Abgrund der Hölle geblickt. »Feyra, ich muss dir mitteilen, dass dein Vater in Gefahr schwebt. Lass ihn nicht gehen.«
    »Mein Vater ? Aber ich bin gekommen, um Euch zu sagen, dass meine …« Sie hielt kurz inne. »Dass meine Herrin gestorben ist. Ihr wusstet das nicht?«
    Es war, als könne der Arzt sie nicht hören. »Ich habe bereits zu viel gesagt. Lass ihn nicht die Segel setzen. Seine Fracht ist gefährlich. Sie wird ihn töten.«
    Feyra erstarrte. »Seine Fracht? Was befördert mein Vater denn für eine Fracht?« Sie war von Kummer und Verwirrung überwältigt und hatte genug von Hinweisen und Andeutungen. Es machte sie zornig. »Sagt es mir, und zwar rasch und deutlich.«
    Ihr Lehrer und Mentor, der große Haji Musa, schien vor ihren Augen zu schrumpfen. Er wich zurück. »Ich habe schon zu viel gesagt.« Seine Hände flatterten zu seinem Mund. »Hast du gesagt, deine Herrin läge im Sterben?«
    »Sie ist bereits tot.«
    Die Nachricht schien ihn nicht zu berühren, war nichts als eine unbedeutende Kleinigkeit. »Dann geh nach Hause, Feyra. Jetzt. Sei ja nicht hier, wenn sie entdeckt wird. Und bring deinen Vater fort, lass ihn nicht die Segel setzen !«
    »Wartet!«
    Er ging bereits davon. »Ich habe schon zu viel

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