Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
ermöglicht hatte, die Frauen zumeist verwehrt blieb.
»Als Gegenleistung für seinen Verzicht auf mich wurde deinem Vater Rang und Ansehen versprochen, und er erhielt dich, seine Tochter, um sie in Frieden in der Stadt großzuziehen. Er bekam dein Leben im Gegenzug für zwei Dinge: seine absolute Loyalität gegenüber dem Sultan und allen seinen Erben und das Versprechen, dass er niemals versuchen würde, mich wiederzusehen. Und ich habe ihn nie wiedergesehen, Feyra, von jenem Tag an bis zum heutigen kein einziges Mal.« Nurbanus Augen wurden glasig. »Als wir bei Lepanto gegen die Venezianer kämpften, war dein Vater Admiral, er stand somit in demselben Rang, den mein Onkel, der Doge, bei den Venezianern bekleidete. Ich habe aus diesem Fenster geblickt, Feyra, habe die Augen zusammengekniffen und mir vorgestellt, ich könnte bis zum Golf von Patras sehen, wo die beiden Flotten aufeinandertrafen, wo mein Geliebter Timurhan und mein Onkel Sebastiano sich auf Befehl meines Mannes Selim mit Feuer und Kanonen bekämpften.«
Feyra musste sich jetzt vorbeugen, um sie verstehen zu können.
»Im Laufe der Zeit wurde ich wieder glücklich. Ich begann, meinen Mann, den Sultan, zu lieben. Nicht mit der jugendlichen Leidenschaft, die ich für deinen Vater empfunden habe, sondern mit wachsendem Respekt und Zuneigung. Er war ein gütiger, freundlicher Mann und ganz anders als unser Sohn – sie waren so verschieden wie Tag und Nacht. Ich lernte, mich unentbehrlich zu machen, und stieg von Odaliske zur Konkubine, von Konkubine zur Kadin und dann zur Sultana auf. Behutsam fing ich an, meinen Einfluss einzusetzen, um eine pro-venezianische Politik zu unterstützen. Aber als mein Mann starb, endete das alles. Du wirst dich daran erinnern, Feyra, wie wir uns bemüht haben, Murads Thronfolge zu sichern. Jetzt wirst du verstehen, warum ich dich und niemand anderen gebeten habe, mir dabei zu helfen. Aber es wäre besser gewesen, wenn ich Murads Rivalen den Thron überlassen hätte, denn mein Sohn ist durch und durch schlecht und von Hass auf Venedig und demzufolge auch auf mich erfüllt.«
Feyra kletterte jetzt in das Bett und brachte ihr Ohr ganz nah an die trockenen, aufgesprungenen Lippen ihrer Herrin heran. Die Valide Sultan legte einen aufgeblähten Arm um sie und lächelte geisterhaft, als würde sie diese Intimität sehr glücklich machen.
»Du musst mich nicht bedauern. Es war mir in all den Jahren ein Trost, ein Kind zu haben, das das Licht meines Lebens war. Mein Sohn weiß nicht, wer du wirklich bist, denn er wurde ein Jahr später geboren, und meine Zofen haben das Geheimnis gut gehütet. Es war mir möglich, dich in meiner Nähe zu behalten und dich aufwachsen zu sehen. Du bist so klug, tapfer und warmherzig. Ich sehe Timurhan jeden Tag in dir.« Die Erwähnung ihrer alten Liebe belebte sie ein wenig, und ihre Stimme wurde etwas kräftiger. »Du darfst ihm nichts von alldem sagen, versprich mir das. Es ist sehr wichtig, dass du das nicht tust, denn er spielt in dieser Tragödie, die mein Sohn inszeniert, eine bedeutende Rolle.« Mit sichtlicher Anstrengung hob sie eine geschwollene Hand und umschloss Feyras Wange. »Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, du wärst nicht so schön. Es ist gut, dass du die Stadt verlassen wirst.«
Feyra lief ein kalter Angstschauer über den Rücken. »Warum muss ich fortgehen?«
»Mein Sohn hat einen perfiden Plan gegen Venedig ausgeheckt …« Die Hand, die Feyras Wange hielt, begann zu zittern. Feyra tastete besorgt nach dem Handgelenk. Zorn war der Feind ihrer Herrin, denn er beschleunigte den Blutfluss und brachte die Körpersäfte zum Brodeln. Die Sporen würden jetzt ihre Organe befallen.
»Ruhig. Sprecht weiter.«
Nurbanu entzog sich ihrem Griff und begann die Hände zu ringen – nein, sie bemühte sich, einen Ring von ihrem angeschwollenen Finger zu lösen, den Kristallring, den sie immer trug. »Nimm dies.« Ihre Augen schlossen sich, und ihre Zunge wurde schwer. »Sag es meinem Onkel, dem Dogen. Sag es ihm. Und wenn du einen Zufluchtsort suchst, geh zu einem Haus mit einem goldenen Zirkel über der Tür. Dort lebt ein Mann namens Samstag. Er wird dir helfen.«
Feyra nahm den Ring, ohne ihn anzusehen. Seit der Name des Dogen gefallen war, hatte sie kaum noch zugehört. Voller Angst stützte sie sich auf einen Ellbogen. »Was soll ich ihm sagen?«
Doch Nurbanus Augen blickten leer und glasig.
»Wo soll ich den Ring hinbringen?«
Cecilia Baffos Augen
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