Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
Wasser, und es roch nach verbranntem Hanf, als das Schiff ablegte. Feyras Magen krampfte sich zusammen und hob sich dann. Es gab kein Zurück mehr.
Sie war auf See.
7
Während der ersten Stunde der Reise verhielt Feyra sich so still wie möglich.
Dabei half ihr das Schlingern des Schiffs, denn sie war nicht sicher, ob sie sich hätte bewegen können, wenn sie es gewollt hätte. Sie hatte noch nie eine größere Seereise unternommen, nur ab und an eine Vergnügungsfahrt in Nurbanus vergoldeter Barke, die aber das goldene Becken des Bosporus nie verlassen hatte. Es war alles so fremd und seltsam, dieser Rhythmus, das Auf und Ab der Wellen.
Wenn sich der Rumpf senkte, fühlte sich ihr Körper schwerelos an, hob er sich, wurde sie mit solcher Wucht gegen die Säcke gepresst, dass ihr Medizingürtel ihr erneut Schmerzen bereitete. Sie fühlte sich elend, kämpfte mit aufkeimender Panik und fand die Bewegungen des Schiffs, das Warten auf jedes Heben und Senken nahezu unerträglich. Das Schweben auf den Wellenkämmen, bevor es in die Tiefe ging, verursachte ihr Übelkeit. Zum ersten Mal verstand Feyra das Verhalten ihres Vaters, wenn er von einer langen Reise zurückkam. Kein Wunder, dass er danach ein paar Tage lang blass und krank war, sein Gesicht das ungesunde grünliche Weiß von Gebeinen aufwies, seine Hände zitterten und er keinen Raum durchqueren konnte, ohne zu schwanken und zu stolpern.
Feyra war eine Pragmatikerin. Ihr Vater hatte oft gesagt: »Ich brauche einen Tag und eine Nacht an Bord, um seefest zu werden, und genauso lange, um mich wieder an festen Boden unter den Füßen zu gewöhnen.« Sie versuchte, gleichmäßig zu atmen und lernte mit der Zeit, sich der Bewegung des Schiffs anzupassen. Es erinnerte sie daran, wie sie zum ersten Mal auf einem Pferd gesessen hatte. Nurbanus eigene Pferdehegerin hatte sie gelehrt, dem Auf und Ab des Pferderückens mit ihrem Körper zu folgen, um den Ritt genießen zu können. So war es auch hier an diesem fremden Ort.
Nach einer Weile war sie imstande, sich aufzusetzen und die schweren Säcke über ihr von ihrem Gesicht weg und zur Seite zu schieben. Dann ging sie geräuschlos daran, sich inmitten der Fracht ein Nest zu bauen. Unter ihr lag eine Matratze aus Sackleinwand, zu einer Seite das Achterdeck, eine Krümmung aus sich überlappenden Planken, auf der anderen eine Reihe von Fässern. Zwischen den dickbauchigen Fässern klaffte eine Lücke, durch die sie den Laderaum und den Vorhang klar erkennen konnte, zugleich aber selbst vor Blicken geschützt war. Aufgrund der Ladung, die das Schiff mitführte, berechnete Feyra, dass sie viele Tage, vielleicht sogar Wochen lang vor der Entdeckung sicher war, denn zwischen ihrem Versteck und der Deckluke über ihr stapelten sich zahlreiche Säcke, Kisten und Fässer. Die Mannschaft würde diese Vorräte zuerst verbrauchen.
Feyra wusste, dass es von entscheidender Bedeutung war, ihre Anwesenheit an Bord geheim zu halten, bis ein ganz spezieller Moment der Reise verstrichen war. Sie hatte ihren Vater diesen Punkt auf den Karten markieren sehen, die er in ihrem Haus zusammengerollt in der Kartentruhe aufbewahrte. Als kleines Mädchen hatte sie gern zugesehen, wie ihr Vater die großen Pergamentbögen auf dem Tisch ausbreitete, seinen silbernen Zirkel zur Hand nahm und seine Reiseroute festlegte. Feyra verfolgte dann, wie der Zirkel in seiner Hand wie ein kleiner silberner Zwerg mit Spitzen statt Füßen über das Meer wanderte. An einem bestimmten Punkt erstarrte der Zwerg mit einem in der Luft schwebenden Bein wie ein Tänzer, und Timurhan presste die Spitze des Zirkels fest in das Pergament, zog ihn weg und kennzeichnete die Stelle mit einem säuberlichen Kreuz. »Da ist er«, pflegte er zu sagen. »Der Umkehrgrenzpunkt.«
Sie hatte damals begriffen, dass der Umkehrgrenzpunkt der Punkt war, an dem man nicht mehr kehrtmachen konnte, sondern seine Reise fortsetzen musste. Es war eines der wichtigsten Seezeichen in der Schifffahrt, denn wenn die Vorräte zur Neige gingen, ein Kampf ausbrach oder man von Piraten verfolgt wurde, musste man wissen, ob ein Schiff noch umkehren konnte oder ob es besser war, weiterzusegeln. Wenn Feyra nicht entdeckt wurde, bis sie die Hälfte der Strecke nach Venedig zurückgelegt hatten, konnten sie den Rückweg nicht mehr antreten. Sie würde bis zum Ende der Reise an Bord bleiben, komme, was wolle, und das Schicksal ihres Vaters teilen, wie immer es aussehen mochte.
Das erste Tageslicht fiel
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