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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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darüber nachzudenken, was das bedeuten mochte, denn in diesem Moment wurde ihre Aufmerksamkeit von einer Stimme gefesselt.
    Sie musste immer noch im Delirium gefangen sein.
    Die Stimme ertönte erneut. Sie klang so rau wie das Krächzen einer Krähe.
    Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken, denn als sie die Stimme ein drittes Mal vernahm, erkannte sie das Wort, das sie hervorstieß. Ein Wort, das bedeutete, dass sie entdeckt worden war. Feyra wartete mit zum Zerreißen gespannten Nerven darauf, dass die Säcke und Fässer zur Seite geschoben und sie dahinter hervorgezerrt werden würde. Doch die Stimme krächzte nur erneut diese zwei Silben.
    Mit Armen so schwach wie Bindfäden stieß Feyra gegen die Säcke und befreite sich mit enormer Kraftanstrengung aus ihrem Gefängnis. Sowie sie alles sehen konnte, was vor ihr lag, stellte sie verwirrt fest, dass die Luke zum Deck über ihr geschlossen war und sie sich allein im Laderaum befand. Sie erhob sich so unsicher wie ein Kleinkind und setzte sich in Bewegung, kam aber aufgrund der Schwäche in ihren Beinen und dem Schlingern des Schiffs nur langsam voran. Mühsam, als würde sie durch Sand waten, setzte sie einen Fuß vor den anderen und markierte wie ein Zirkel die Strecke zwischen ihr und dem Vorhang.
    Den halben Weg, noch einige Schritte, und sie hatte ihr Ziel erreicht.
    Sie griff nach dem weißen Stoff und zog ihn von bösen Vorahnungen erfüllt zurück. Und während sie dies tat, glitt das Schiff leise durch den dunklen Archipel, der aus tausend als Peloponnes bekannten Inseln bestand, wo ein Kapitän einst eine venezianische Prinzessin entführt hatte.
    Der Umkehrgrenzpunkt.
    Feyra blickte auf den Sarkophag hinab und erkannte, dass sie recht gehabt hatte – die Stimme war von dort gekommen. Ein Schwächeanfall ließ ihre Knie zittern, und ihre Beine gaben unter ihr nach. Sie kniete sich vor den Sarkophag, wie sie einst vor einem Sultan gekniet hatte, der in einen Sarg aus Eis eingeschlossen war.
    »Mädchen«, erklang es erneut.
    »Ja, Sarg?«

8
    Feyras Mund war wie ausgedörrt, als sie weitersprach. »Wer bist du?«
    »Ich bin der Tod.«
    Sie schluckte und war überzeugt, dass das Fieber sie umgebracht hatte und sie sich in irgendeiner anderen Welt befand.
    »Was willst du von mir?«
    »Eine andere Seele.«
    Benommen vor Entsetzen starrte Feyra den sprechenden Sarkophag an und versuchte zu begreifen, was hier geschah. Jetzt, wo sie direkt vor dem Sarg stand, wusste sie, dass sie schon ähnliche gesehen hatte. Er war aus Zinn gefertigt, wie sie angenommen hatte, und mit Emaille in den Farben bunter Edelsteine verziert. Geometrische Muster im osmanischen Stil wanden sich um die dekorative goldene Diwani -Schrift. Sie hatte genau so einen Sarg gesehen, als Sultan Selim direkt unterhalb der großen Kuppel in der Hagia Sophia aufgebahrt worden war und seine trauernden Untertanen an ihm vorbeischritten, um einen letzten Blick auf ihn zu werfen.
    Hier in diesem dumpfen, feuchten Laderaum sah es anders aus. Ein ekelhafter unterschwelliger Gestank nach menschlichen Exkrementen bildete einen auffälligen Gegensatz zu dem prächtigen Sarg, an dessen silbernen Nieten in regelmäßigen Abständen Myrtebüschel befestigt waren, ein Kraut, das als Schutz vor giftigen Dünsten bekannt war. In der Hagia Sophia war das Gesicht des toten Sultans hinter einer klaren Kristallscheibe deutlich zu erkennen gewesen – hier war das Glas durch ein Stück undurchsichtigen Musselin ersetzt worden. Der Stoff war locker genug gewebt, um Luft hindurchzulassen, und blähte und senkte sich gleichmäßig wie das Fell einer Trommel.
    Irgendetwas atmete noch.
    Seinem Namen zum Trotz war das Ding darin am Leben.
    Ein Seufzer entwich dem Sarkophag, und der Musselin bauschte sich wie ein Segel. »Ich wollte dir keine Angst einjagen, ich meinte nur, dass ich mir einen Freund, einen Gefährten gewünscht habe. Seit vier Tagen liege ich hier drinnen. Ich fühle mich einsam.« Die Stimme war männlich, tief und rau wie die eines Menschen, der sich kaum einmal von seiner Tabakpfeife trennte, so wie ihr Vater. Sie verlor etwas von ihrer Angst.
    »Ich habe dich sprechen und singen gehört. Ich dachte, du wärst eine der Sirenen, die den Sagen zufolge an der Küste Griechenlands leben. Wir müssten jetzt in diesen Gewässern sein.« Demnach kannte Tod sich auf dem Meer aus. »Aber jetzt weiß ich, dass du sterblich bist. Ich hörte dich leiden, so wie ich gelitten habe. Es tut mir für dich leid,

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