Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
so blaue Augen und eine Taille, so schmal wie die eines Windhunds.« Während er sprach, schritt er vor dem kleinen Fenster auf und ab, blickte in eine andere Zeit und auf einen anderen Ort, während Tausende von Sternen sich einen Weg durch den widerwärtigen Nebel bahnten. »Ich wurde an einem Samstag geboren, und wenn man in Venedig an diesem Tag geboren wird, gilt man als von Gott gesegnet und wird nach diesem Tag benannt. Mein Vater wurde gleichfalls an diesem Tag geboren, also erhielt ich den Namen Zabato Zabatini und war demzufolge gleich doppelt gesegnet. Mein ganzes Leben lang hatte ich darauf gewartet, dass mir einmal besonderes Glück widerfährt – wir waren weder sonderlich reich noch in irgendeiner Weise berühmt. Aber im Nachhinein denke ich, dass sich mir mein Namensglück in der Zeit mit Cecilia offenbart hat.« Er drehte sich wieder zu Feyra um. »Ich war angesichts ihrer Schönheit machtlos, und eines Tages wurden wir im Schulzimmer in enger Umarmung ertappt.«
Feyras Augen wurden groß. Zum ersten Mal stellte sie sich ihre Mutter als junge Frau vor, als die Cecilia Baffo, die sie nie gekannt hatte: eigenwillig, schön und bereit, ihre Macht auszuspielen; eine Frau, die es fertigbrachte, zum Spaß einen jungen Zeichenlehrer zu verführen und dann mit einem Kapitän durchzubrennen, den sie erst seit einer Stunde kannte. Und zum ersten Mal stellte sie das leichtfertige Verhalten ihrer Mutter in Frage. Hatte sie sich diesem Mann vor ihrem Vater, vor Sultan Selim, hingegeben? Sie wusste nicht, wie sie Zabato diese Frage stellen sollte, und wollte es eigentlich auch gar nicht.
Aber er beantwortete sie trotzdem. »Es war nur ein Kuss. Aber Nicolò Venier schäumte vor Wut. Er hatte Angst, ich würde ihr die Jungfräulichkeit nehmen und seine Hoffnungen auf eine gute Partie für seine Tochter und eine vorteilhafte Verbindung für ihn zunichtemachen. Er entließ mich und brachte Cecilia unverzüglich in ihren Sommerpalast auf Paros, wo er mit den Verhandlungen bezüglich einer Heirat begann. Ich nehme an, dass sie dort den Türken in die Hände fiel.«
Feyra kannte die Fortsetzung dieser Geschichte nur zu gut, und sie wusste auch, dass das Feuer, das dieser eigenartige hagere Mann in ihrer Mutter entfacht hatte, nicht leicht auszulöschen gewesen war.
»Und nun ist sie tot.«
»Sie starb vor zwei Wochen in Konstantinopel.«
Zabato nahm wieder Platz. »Also entsprach alles der Wahrheit«, krächzte er. »Ich hörte, dass sie von Piraten entführt wurde.«
Sie nickte. »Von meinem Vater. Er war Schiffskapitän, und er brachte sie in die Türkei.«
Seine Brauen, so schwarz, wie einst sein Haar gewesen war, schossen in die Höhe. »Und übergab sie dem Sultan?«
»Ja.«
Zabato sah sie eindringlich an. »War sie glücklich?«
Feyra überlegte. »Ja.« Und sie glaubte es. In der Verbindung mit dem Sultan hatte Cecilia nicht nur Zufriedenheit in der Ehe gefunden, sondern auch die Möglichkeit, die osmanische Politik dank ihres Scharfsinns mitzubestimmen. Wahrscheinlich war sie als Nurbanu glücklicher gewesen als als Cecilia, die Frau eines mittellosen Zeichners oder als Cecilia, Frau eines türkischen Kapitäns.
Der Gedanke an ihren Vater erinnerte sie an etwas anderes, das sie zu sagen hatte. »Ich bin ihre Tochter.«
Zum ersten Mal an diesem Abend schwieg Zabato. Er sah sie an und versuchte ihre Züge unter dem dünnen yemine -Schleier zu erkennen. »Ja«, sagte er langsamer, als er sonst sprach. »Ja, das bist du.«
Stockend erzählte sie ihm den Rest ihrer Geschichte, berichtete vom Ende ihrer Mutter und ihres Vaters sowie von dem Verschwinden des Schiffs und Takat Turans. Sie zeigte ihm den Kristallring und sah ihm an, dass er ihn erkannte.
Wie um Tränen wegzuzwinkern schüttelte Zabato den Kopf, erhob sich und begann erneut im Raum umherzutigern. »Ich habe ihr nach Paros geschrieben. Ich habe ihr sogar an den Hof des Sultans geschrieben, die Briefe Kaufleuten und sogar unserem Botschafter mitgegeben. Zuletzt schrieb ich ihr, um ihr mitzuteilen, welche Stellung ich in diesem Haus einnehme, und ihr zu versichern, dass ich immer ihr ergebener Diener bleiben würde, aber ich weiß nicht, ob sie meine Briefe je erhalten hat.«
Daran hegte Feyra keinen Zweifel. »Sie muss sie bekommen haben.«
Er nickte rasch, ein, zwei, drei Mal. »Ja. Ja. Ja. Und jetzt, da du hier bist, wird Zabato Zabatini dir helfen, wo er nur kann. Wie soll ich dich nennen?« Er streckte eine Hand aus.
Sie sah ihn an
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