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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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und Bannern aus, allgegenwärtig und bedrohlich.
    Feyra wusste nicht, ob sie vor Furcht oder vor Kälte zitterte, denn ihre Kleider waren vom Waschen noch feucht, und die Gischtspritzer, denen sie in dem seltsamen Boot ausgesetzt gewesen war, hatten sie weiter durchweicht. Als sie von Gasse zu Gasse stolperte, gelangte sie ständig in eine Sackgasse und sah sich einem weiteren schimmernden Kanal gegenüber, der spöttisch zu ihren Füßen plätscherte. Sie hatte Tausende winziger Brücken überquert, bis sie über die Mutter von allen schritt – eine mächtige Holzkonstruktion, auf der sich die böswilligen Bürger der Stadt drängten. Sie schien sie jedoch endlich ihrem Ziel näher zu bringen. Im Dämmerlicht konnte sie den großen spitzen Turm erneut sehen und steuerte entschlossen darauf zu.
    Feyra beschloss, sich so nah wie möglich bei dem großen Kanal zu halten, den sie soeben überquert hatte, eine breite silberne Wasserstraße, die sich durch die Mitte der Stadt schlängelte. Sowie sie die Brücke hinter sich gelassen hatte, war sie für die letzte Stunde dankbar, die sie vergeudet hatte. Sie hätte bis zum Morgengrauen in der Gegend umherlaufen können, wo sie ausgestiegen war, ohne den Turm zu finden, denn er lag auf einer ganz anderen Insel, abgetrennt durch den großen Kanal. Aber mit dem Wasserweg als Führer gelangte sie innerhalb kurzer Zeit zu einem weitläufigen Platz. Sie konnte den hohen Turm erneut sehen und auch die goldene Kirche, an die sie sich noch erinnerte.
    Als Feyra unbemerkt den von Menschen wimmelnden Platz überquerte, stieß sie auf eine weitere Plage: die grässlichen grauen Vögel, die sich um ihre Füße scharten und ihre Schritte behinderten. Wurden sie aufgeschreckt, flatterten sie hoch, flogen ihr ins Gesicht und schlugen mit ihren schmutzigen Flügeln gegen ihren Schleier. Sie musste sich zusammennehmen, um nicht fortzulaufen.
    Endlich erreichte sie den Turm. Ihr war der Gedanke gekommen, dass sie hier vielleicht den Dogen finden konnte, denn der Topkapi-Palast prunkte mit dem höchsten Turm ihrer Heimatstadt, und der Sultan residierte direkt darunter. Aber die Mauern des Turms ragten kalt und fensterlos in den Nebel, und ganz oben dröhnte eine unsichtbare Glocke. Das Gebäude wirkte mit all seinem Gold und den Gemälden großartig genug, war aber eindeutig ein Tempel. Also blieb der große weiße Palast mit den zarten schneeweißen Ziergiebeln.
    Sie mischte sich unter die Menge, die sich um eine riesige, oben von Zwillingsstatuen flankierte Treppe geschart hatte. Im selben Augenblick wurden die mächtigen Türen über der Treppe geöffnet, und Diener mit brennenden Fackeln und Platten voller Brotlaibe strömten heraus. Die Menge stürzte sich auf die Brote. Ein köstlicher Hefegeruch stieg Feyra in die Nase, woraufhin ihr Magen zu knurren begann und ihr das Wasser im Mund zusammenlief. Der Doge musste ein barmherziger Mann sein, wenn er seinen Untertanen Almosen gab, dachte sie. Ein Stückchen fiel zu Boden, sie griff danach und stopfte sich die süße Wärme in den Mund. Das Brot schmeckte so wunderbar, dass ihr die Tränen in die Augen traten. Mit neu erwachter Kraft nahm sie ihre Chance wahr und rannte die Stufen hoch. Oben versperrten ihr zwei Wachposten mit gekreuzten Speeren den Weg. So klar und deutlich, wie es ihr möglich war, sagte sie: »Ich möchte den Dogen sprechen.«
    Einer der Wächter musterte sie von Kopf bis Fuß. »Natürlich, signorina. Ich werde ihn sofort holen. Und hättet Ihr gern einen Becher Wein, während Ihr wartet?«
    Feyra wollte gerade höflich ablehnen, als die beiden Männer vor Lachen zu prusten begannen. Hinter ihren Speeren sah sie einen in die Wand eingelassenen steinernen Löwenkopf mit einem schwarzen Briefschlitz als Maul. Er schien sie gleichfalls auszulachen. Verzweifelt verdoppelte sie ihre Bemühungen. »Bitte, ich muss ihn sehen. Jetzt.«
    Sie lachten nur noch lauter. Endlich rief sie verzweifelt in das plötzliche interessierte Schweigen hinein, das sich über die Menge unten gelegt hatte: »Ich habe eine Botschaft von der Valide Sultan von Konstantinopel!«
    Die Wächter hörten so abrupt auf zu kichern, als wären sie geschlagen worden, und sie erkannte ihren Fehler.
    Sie hätte den venezianischen Namen ihrer Mutter benutzen sollen.
    Das Wort »Sultan« hatte sie verraten.
    Plötzlich bekam sie es mit der Angst zu tun. Langsam und behutsam, als würde eine überstürzte Flucht den Bann brechen, begann sie die Treppe

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