Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
weismachen, dass wir eine schöne türkische Frau suchen?«
Der erste Wächter, der Ältere und Klügere der beiden, bekam es mit der Angst zu tun. Irgendetwas am Ton des Inquisitors ließ ihn erneut an die Peitsche denken. »Nun, jetzt, wo Ihr es erwähnt … ihre Haut war wirklich dunkel, fast schwärzlich.« Er sah seinen Kameraden an.
»Das stimmt«, nickte dieser. »Und ihre Nase war ziemlich groß …«
»Und krumm«, schloss der Erste triumphierend. »Sie zeigte so nach unten wie ihre Ungläubigenschuhe nach oben.«
Der blonde Mann nickte beifällig, als der Schreiber schneller zu zeichnen begann. Als er fertig war, zeigte der Inquisitor den beiden Wächtern das Bild.
»Würdet ihr sagen«, fragte er mit jetzt wieder honigsüßer Stimme, »dass ihr dies hier ähnlich sieht?«
Die Wächter betrachteten die Zeichnung. Sie zeigte eine abstoßende hakennasige Vettel mit schwarzer Haut, die in Schleier und bauschige Pluderhosen gehüllt war. Ihre Nase reichte fast bis zu den hochgebogenen Spitzen ihrer Schuhe hinunter. Beide Männer nickten nachdrücklich.
Der Inquisitor griff mit seiner beringten Hand nach der Zeichnung und reichte sie dem älteren Wächter. »Bring das persönlich zu den Flugblattverfassern auf dem Campo San Vio«, befahl er. »Bei Sonnenuntergang soll eines an jeder Ecke von jedem sestiere hängen.«
17
Im ersten Tageslicht schritt ein Mann mit einer Vogelmaske durch die stillen Straßen des Miracoli- quartiere. Sein schwarzer Umhang schleifte über das Pflaster.
Vor einer Tür mit einem roten Kreuz darauf blieb er stehen und klopfte mit seinem Stock an. Eine in Umhänge mit Kapuzen gehüllte Familie, die ein paar Habseligkeiten bei sich trug, strömte schweigend heraus und schloss sich ihm an.
Er ging zur nächsten mit einem Kreuz versehenen Tür und tat dasselbe. Schon bald folgte ihm eine kleine Schar von Menschen durch die Straßen, die ständig anwuchs.
Bei der Kirche Santa Maria dei Miracoli machte die Prozession Halt, als Annibale seinen Stock hob. Er betrat die Kirche, in der er getauft worden war, aber er sank weder auf die Knie, noch bewunderte er den prächtigen Marmor im Inneren. Stattdessen stieg er die kleine Treppe zu dem steinernen Bogen hoch, der wie ein graubrauner Regenbogen die Straße überspannte, und gelangte zu dem an die Kirche angeschlossenen Kloster. Durch das Gitterwerk der Fenster sah er die unten zusammengedrängten Familien, die auf ihn warteten. Ein Anflug von Panik wallte in ihm auf. Aber er hatte den Stein ins Rollen gebracht, jetzt gab es kein Zurück mehr.
Er ging auf die kleine Tür zu und klopfte so respektvoll wie es ging, mit dem Knauf seines Ebenholzstocks an. Eine ältere Nonne in schwarzer Ordenstracht und weißem Schleier öffnete. La Badessa, die Äbtissin des Miracoli-Ordens, mit der er gestern eine lange Unterredung geführt hatte. »Seid Ihr soweit, Dama Badessa?«
Sie nickte ernst. »Ja, wir sind soweit.«
»Und Ihr seid ganz sicher?«
Sie schenkte ihm ein geisterhaftes Lächeln. »Wir sind ein seelsorgerischer Orden, Dottore. Wenn die Familien gehen, gehen wir auch.«
Annibale wandte sich ab, und die Badessa und ihre Mitschwestern folgten ihm die Treppe hinunter. Er wartete, während die Badessa vor dem Marmoraltar niederkniete und das in die Altarwand eingelassene Fach verschloss, das die Hostie enthielt. Nachdem sie sich vor dem Tabernakel verneigt hatte, verbrannte sie etwas geweihtes Öl vor dem goldenen Kreuz und legte es auf den Marmorboden. Auf dem Rückweg zu ihren im Gang wartenden Nonnen erwies die Badessa dem liegenden Kreuz nicht noch einmal ihre Reverenz. Der Priester war in der Nacht zuvor gestorben, und im Moment war dies keine Kirche mehr, sondern nur noch ein schönes marmornes Mausoleum. Gott war fort, und die Schwestern des Miracoli-Ordens mussten gleichfalls gehen.
Draußen wies Annibale der Gruppe den Weg wie der Rattenfänger, der die Kinder von Hameln gestohlen hatte. Doch seine wachsende Anhängerschar hatte Aufmerksamkeit erregt – Dottore Valnetti, der seinen Karren voller in Flaschen abgefüllter falscher Hoffnung hinter sich herzog, ließ den roten Griff fallen und rannte hinter Annibale her. Annibale knirschte hinter seiner Maske mit den Zähnen. Er hatte gewusst, dass dieser Moment kommen würde.
»Annibale? Wo bringt Ihr diese Leute hin?«
»In mein neues Krankenhaus.«
»Was zum … und wo soll das sein?«, stammelte Valnetti.
Annibale blieb stumm.
»Das sind meine Patienten!« Valnettis
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