Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
Brillen baumelte von seiner tintenfleckigen Hand herab.
»Ein Mann namens Samstag«, keuchte sie. »Ich suche einen Mann, den man Samstag nennt.«
»Das bin ich«, erwiderte der Mann. »Aber Betteln ist hier nicht gestattet.«
Er machte Anstalten, die Tür zu schließen, doch sie schob den ihr noch verbliebenen gelben Pantoffel schmerzhaft in den Spalt. »Bitte!« Sie zerrte den Pferdering von ihrem Finger und suchte nach den venezianischen Worten. »Wegen des Rings. Im Namen von Cecilia Baffo, Eurer Freundin.«
Der furchtbare Druck auf ihren Fuß ließ nach. Der neugierig gewordene Mann blickte erst den Ring an, dann sie, dann mit raschen, vogelähnlichen Bewegungen rechts und links auf die Straße hinaus. Kurz darauf packte er sie am Arm und zog sie ins Haus.
Feyra konnte in dem dämmrigen Kerzenlicht nichts erkennen, aber sie hörte, wie die Eichentüren hinter ihr geschlossen wurden.
Sie war in Sicherheit.
16
»Cecilia Baffo«, sagte der Mann namens Samstag. »Verzeih mir. Ich habe diesen Namen seit Jahren nicht mehr gehört.«
Feyra hielt mit dem Essen inne und sah ihn an. In seinen von der Brille vergrößerten Augen lag ein geistesabwesender Ausdruck. Als er sich zu ihr umdrehte, verwandelte der Kerzenschein die gläsernen Kreise in flache Goldmünzen, und sie konnte seine Augen nicht mehr erkennen. Aber seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Schmeckt es dir?«
Sie nickte, denn ihr Mund war so voll, dass sie nicht sprechen konnte. Er hatte ihr eine »aus der Küche stibitzte« Platte mit Essen gebracht – einen kleinen Laib Brot, ein Stück Käse und etwas getrockneten Fisch, und sie schlang alles so schnell hinunter, wie sie konnte. Feyra wusste, dass sie nach dem langen Fasten langsam essen und gut kauen sollte, aber das kümmerte sie nicht. Sie war in einem Palast aufgewachsen, und trotzdem war das die beste Mahlzeit, die ihr je vorgesetzt worden war.
Sie befanden sich in einer kleinen Schlafkammer mit einem Rollbett, einem Stuhl und einem Kreuz an der Wand. An dem Kreuz hing der kleine Prophet, den sie auf der Münze gesehen hatte, verkrümmt und sterbend, mit einer Dornenkrone auf dem Kopf. Sie hatte sich bewusst mit dem Rücken zu ihm auf das Bett gesetzt, um ihr Mahl zu verzehren, aber sie war so erschöpft, hungrig und durchgefroren, dass sie mit dem Teufel persönlich gespeist hätte.
Jetzt, satt und warm vor Erleichterung, musterte sie diesen eigenartigen Mann. Er trug ein Wams, Hemdsärmel, Kniehose, Strümpfe und weiche Lederschuhe. Sein Haar stand ihm so merkwürdig vom Kopf ab, weil er ständig mit den Händen hindurchfuhr. Seine Wangen waren eingefallen und mit aschgrauen Stoppeln bedeckt. Seine langen, empfindsamen Hände starrten vor Tintenflecken, aber die schuppige, trockene Haut schälte sich an vielen Stellen und leuchtete dort, wo er sie aufgekratzt hatte, rot und entzündet. Er nahm seine Brille ständig ab und schob sie wieder auf die Nase, setzte sich und stand wieder auf, als müsse er andauernd in Bewegung bleiben. Wenn er sprach, geschah dies in einem Wortschwall, der voll nervöser Energie aus ihm herausbrach, und seine Sprechweise und sein hektisches Gebaren verstärkten den vogelartigen Eindruck, den er erweckte.
»Ich kannte Cecilia Baffo«, sagte er. »Vor langer Zeit, als sie eine junge Frau war, war ich ihr Zeichenlehrer. Ich stand in den Diensten von Herzog Nicolò Venier, auf der Insel Giudecca.« Er hielt in seinem Auf- und Abgehen inne. »Kennst du sie?«
Giudecca. »Ja«, erwiderte Feyra ruhig.
»Herzog Nicolò wünschte, dass sein einziges Kind all die Künste erlernte, die sich für junge Damen schickten, damit sie eines Tages eine gute Partie machen und alle seine Hoffnungen erfüllen würde. Ich war ein junger Zeichner mit beachtlichem Talent. Wir waren gleichaltrig. Ich war von ihr fasziniert, nur dachte ich nicht, dass sie jemanden wie mich eines zweiten Blickes würdigen würde. Aber eine Zeitlang hat sie sich für mich interessiert.«
Feyra betrachtete ihn plötzlich mit anderen Augen. Sie stellte sich vor, wie er ausgesehen hatte, als sein wirr vom Kopf abstehendes graues Haar schwarz und seine Züge straff und glatt rasiert gewesen waren, und sie glaubte, dass er einst ein attraktives Äußeres geboten haben mochte.
»Sie begann gerade ihr Familienerbe anzutreten.« Er neigte den Kopf zur Seite. »Ich meine nicht ihren Reichtum, sondern ihre Schönheit. Ich hatte noch nie ein so schönes Geschöpf gesehen, so goldenes Haar,
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