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Die Heilerin

Die Heilerin

Titel: Die Heilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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tief Luft. »Er hat nur Rechte, aber keine wirklichen Pflichten. Dabei bräuchte er die. Er muss in die Pflicht genommen werden. Seine Aufgaben muss er erfüllen und niemand sonst.« Sie schüttelte den Kopf, wischte sich eine Träne von der Wange. »Aber Hermann will das nicht hören. Niemand will das hören.«
    Margaretha stand auf und ging ein paar Schritte. Die Worte ihrer Schwägerin rührten sie auf. Bisher hatte sie immer Mitleid mit Abraham gehabt, und so ging es vermutlich auch dem Rest der Familie. Esther war zwar nun auch Teil der op den Graeffs, aber sie sah die Dinge losgelöster, von außen. Hatte sie recht? Schonten sie Abraham zu seinem Nachteil? Waren sie gar zu nachgiebig? Oder nahmen sie ihm vielleicht auch Aufgaben und Pflichten, die ihm Halt geben würden? Die Gedanken schlugen Purzelbaum in ihrem Kopf. Verwirrt starrte sie auf die Felder, die im Sonnenlicht goldgelb schimmerten.
    »Es tut mir leid«, murmelte Esther und berührte Margaretha sacht an der Schulter. »Ich wollte deine Familie nicht schlechtreden. Ich war so aufgebracht, und das war nicht angemessen.« Sie biss sich auf die Lippen.
    »Unfug!« Margaretha nahm sie in den Arm. »Ich bin so froh, dass du mir deine Gedanken mitgeteilt hast. Ich werde darüber nachdenken. Vermutlich hast du recht. Es sind Dinge, die wir nicht sehen, weil wir zu tief in der Geschichte stecken. Du bist die beste Schwägerin, die ich mir vorstellen kann. Ich danke dir für deine offenen Worte.«
    »Ach, Margret, ich bin glücklich, dass es dich gibt. Du bist ein herzensguter Mensch.« Wieder wischte sie sich über die Augen, lächelte kläglich. »Ich bin im Moment so empfindlich, könnte immerzu weinen, aus nichtigen Anlässen. Es ist geradezu albern.«
    Margaretha schob sie von sich, schaute Esther aufmerksam an. »Ist das so?« Bedächtig nickte sie dann. »Ja, du hast dich verändert, dein Gesicht hat sich gerundet, deine Lippen sind voller. Wie lange bist du schon … nun, launisch?«
    »Launisch?« Verlegen senkte Esther den Kopf. »Doch, das ist die richtige Bezeichnung. Es beschämt mich. Noch nicht lange, ein paar Wochen vielleicht. Möglicherweise macht mir die Hitze zu schaffen, mir ist immerzu warm.«
    »Warm?« Margaretha lachte laut auf. »Du trägst ein Kind. Darauf würde ich einen Taler verwetten, wenn ich wetten dürfte.«
    Mit großen Augen sah Esther sie an. »Was? Nein, das kann nicht sein.«
    »Wann waren deine letzten Blutungen?«
    »Das war … das war, das muss vor … ich weiß nicht? Das war im März. Anfang März.«
    »Esther, wir haben Ende Mai, fast Juni. Du bist mit Kind. Ach, wird das die Eltern freuen. Ein Enkelkind. Wie schön!« Sie lachte laut heraus, doch Esther verzog das Gesicht und begann zu weinen.
    »Nein, nein. Bitte nicht. Oh, bitte, bitte nicht.« Sie sackte in sich zusammen, kauerte sich auf den Boden und weinte.
    »Aber was ist denn?« Hilflos stand Margaretha vor ihr, sah sie bestürzt an. Dann hockte sie sich neben die junge Frau, strich behutsam über ihren Rücken. »Willst du keine Kinder?«
    »Nein.« Vehement schüttelte Esther den Kopf.
    »Warum nicht?«
    »Die erste Frau meines Vaters starb im Kindbett, die Frau meines Bruders auch. Meine Schwester hat unsagbar gelitten. Ich habe Angst. Ich werde es nicht überleben. Und wer ist dann für Hermann da? Ich weiß, das Kindbett ist die Last der Frauen, und wir müssen es ertragen, aber ich … ich will nicht.«
    Margaretha seufzte, drückte ihre Schwägerin an sich. »Ich weiß, es ist schwer und eine Bürde. Aber wir stehen dir zur Seite, und eine bessere Hebamme als meine Mutter gibt es nicht in der Stadt. Sie wird alles dafür tun, dass du es leicht hast. Glaube mir, es gibt viele Mittel, um es erträglich zu machen, und Mutter kennt sie alle. Wir werden für dich da sein.«
     
    Gretje und Margaretha versuchten alles, um Esther die Angst zu nehmen. Die Familie freute sich unbändig über den kommenden Nachwuchs, doch Esther konnte die Freude nicht teilen. Obwohl sie die Schwangerschaft ohne große Beschwerden trug, blieb sie ernst und traurig. Sie war davon überzeugt, dass sie sterben würde.
    Der Sommer wurde zum Herbst. In diesem Jahr würde die Ernte gut werden. Die Schweine waren fetter als jemals zuvor, die Hühner legten fleißig Eier, und die Obstbäume hingen voller Früchte. Die Tuchgeschäfte wurden schwieriger, aber die op den Graeffs lieferten feines und gutes Tuch, sie konnten sich nicht beklagen. Doch zum ersten Mal mussten sie ihren

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