Die Heilerin
kühle Vorratskammer gebracht hatte, kamen die ersten Gäste. Bald waren die Stube und die Küche mit Menschen gefüllt. Der Küchentisch schien sich unter den Speisen zu biegen. Margaretha und Rebecca kamen kaum hinterher, allen Getränke zu reichen. Die Stühle und Bänke reichten nicht aus, und so mussten einige der Gäste stehen bleiben, um Pastorius zu lauschen. Doch das schien niemanden zu stören. Aufmerksam hörten sie ihm zu. Auch die Frauen standen in der Diele vor der geöffneten Stubentür und versuchten, den Worten zu folgen.
Pastorius sprach von Penn und seinen Visionen. Von seiner Vorstellung, einen Staat zu führen, in dem Verfolgungen aus religiösen Gründen undenkbar waren. Ein Miteinander voller Respekt und Gottesfürchtigkeit. Er malte die Bilder in lebhaften Farben. Dann sprach er von dem Land, von Pennsylvania, las Berichte aus den Briefen vor, die er bekommen hatte. Schließlich kam er auf das Land der Frankfurter Land Compagnie zu sprechen. Fünfzehntausend Acker an Land hätte man schon erworben. Man sei geneigt, noch weiteres Land zu kaufen.
»Mijnheer Pastorius, Eure Compagnie hat das Land schon gekauft?«, fragte Hermann.
»So ist es.«
»Und wo liegt das Land? Gibt es eine Karte von Pennsylvania? Ist es fruchtbares Land? Ackerland?«
Pastorius räusperte sich. »Ich kann Euch nicht genau sagen, wo das Land liegt. Es wird im Umfeld der Stadt Philadelphiasein, die Penn errichtet. Der Anspruch auf das Land ist gegeben, ausgemessen wird es jedoch erst, wenn die Siedler dort sind.«
»Das heißt, wir würden die Katze im Sack kaufen?«, fragte jemand.
»Ganz so ist es nicht. Das Land ist sehr fruchtbar. Überall. Obstbäume mit Pfirsichen und Äpfeln wachsen dort und tragen reiche Ernte. Wasserläufe sind zur Genüge vorhanden, das Klima ist mild.«
»Und doch wüssten wir nicht, wohin es uns verschlagen würde.«
»Nun, selbst wenn ich Euch einen Fleck auf einer Karte zeigte, was brächte es Euch? Ich verbürge mich dafür, dass Ihr das Land in der Größe bekommt, die Ihr kauft. Ich reise umgehend in die Neue Welt, um alles in Augenschein zu nehmen und vorzubereiten.«
Unsicherheit machte sich breit. Die Männer begannen, lautstark zu diskutieren. Gretje schüttelte den Kopf und zog Margaretha mit sich in die Küche. Für eine Weile arbeiteten sie schweigend, rührten in Töpfen, richteten Speisen an und schöpften Getränke in Krüge. Schließlich fasste sich Margaretha ein Herz.
»Was denkst du darüber, Moedertje?«
»Worüber?«
»Über die Neue Welt, über das Auswandern? Über … all das?«, fragte sie schüchtern.
Gretje kostete die Suppe, rührte dann heftig um. »Sie setzt an. Der Topf muss vom Feuer, hilf mir mal.« Zusammen wuchteten sie den großen Kessel vom Herd. Gretje strich sich eine Strähne unter die Haube, schnaufte. »Was ich denke? Was spielt es für eine Rolle? Hermann und Abraham entscheiden über diese Familie, seit dein Vater verstarb. Sie machen es nicht schlecht, nein, weiß Gott, das machen sie nicht. Es wird alles schwieriger, die Preise sinken, der Absatz der Ware. Die Mitbürger, die Reformierten und die Katholiken, werden unfreundlicher,nein, sogar feindlich werden sie. Doch rechtfertigt das einen Auszug?« Sie schöpfte Würzwein in zwei Becher, reichte ihrer Tochter einen davon, setzte sich dann auf die Küchenbank. »Ich habe schon viel erlebt. Als ich klein war, musste meine Familie von einem Tag auf den anderen die Stadt verlassen und woanders Zuflucht suchen. Die fanden wir hier in Krefeld. Ich weiß immer noch nicht genau, weshalb wir so überstürzt geflohen sind, aber mein Vater war ein bedächtiger Mann. Es musste Not geherrscht haben.«
»Aber die herrscht hier nicht, Moedertje«, sagte Margaretha und biss sich auf die Lippe. »Uns geht es gut.«
»Das ist wahr, Meisje. Noch ist das wahr. Aber nicht mehr lange. Rebecca musste heute auf dem Markt zu drei Händlern, bevor ihr jemand Eier verkaufte. Es lag nicht an dem Angebot, sondern an unserem Glauben.« Gretje nahm einen großen Schluck aus dem Becher. »Ich weiß nicht, was ich denken oder fühlen soll. Ich fühle mich hier wohl, ich bin hier zu Hause. Und doch spüre ich die Veränderung, die Bedrohung, wie dunkle Wolken, die am Himmel aufziehen und ein Gewitter ankündigen.« Sie nickte heftig. »Noch ist alles gut, an der Oberfläche, aber das kann sich schnell ändern, denn darunter brodelt es.«
»Du würdest also einem Umzug in die Neue Welt zustimmen?«, fragte
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