Die Heilerin
Sonnenlicht aus und gähnte herzhaft. »Mögt Ihr ein paar Schritte gehen?«, fragte sie dann.
»Gerne.« Pastorius erhob sich.
Sie gingen durch den Hof, an den Ställen vorbei und durchquerten den Kräutergarten. Die Backsteinmauern, die das Grundstück begrenzten, speicherten die Wärme und gaben sie am Ende des Tages wieder ab. Dadurch gediehen die Kräuter und Pflanzen besonders gut. Es duftete nach Thymian, Majoran und Minze. Der Liebstöckel streckte seine Triebe aus, und der Bärlauch verblühte schon. In der hinteren Mauer war eine kleine Pforte eingelassen. Margaretha öffnete das Tor, Jonkie stürmte an ihr vorbei in die schmale Gasse, die zwischen den Grundstücken zur Straße führte.
Für eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her.
»Euch liegt etwas auf dem Herzen, nicht wahr?«, fragte Pastorius dann leise.
»Eher auf der Zunge, aber ich traue mich nicht, Euch zu fragen.« Margaretha lachte gezwungen.
»Immer zu. Ich nehme es auch nicht übel, was auch immer es ist.«
»Nun denn.« Margaretha kaute auf ihrer Unterlippe, schließlich drehte sie sich zu ihm. »Mijnheer Pastorius, welchen Eindruck hattet Ihr von meinen Brüdern und ihren Freunden?«
Erstaunt sah Pastorius sie an. »Eindruck? Nur den besten. Seit gestern komme ich aus dem Staunen nicht heraus. Ihr habt einen Badezuber, zwei große Häuser mit sauberen Zimmern, Eure Vorratskammer scheint wohl gefüllt zu sein. Den Händen und Armen Eurer Brüder sieht man die harte Arbeit an, sie haben Muskeln und Schwielen.« Er streckte seine feingliedrigen Hände aus. »Anders als meine. Und doch ist Eure Familie sehr gebildet und belesen. Ihr vermögt Konversation zu betreiben, seid informiert, was das politische Geschehenangeht, und besitzt ein umfassendes theologisches Wissen. Der Glaube Eurer Familie ist stark und tief. Hemeltje, Quäker dieser Art kann man sich in Pennsylvania nur wünschen.«
Margaretha schnaubte belustigt auf. »Diese Art der Einschätzung meinte ich nicht, sondern ich wollte wissen, welchen Eindruck Ihr von ihnen habt, was die Neue Welt angeht?«
Pastorius blieb stehen. »Ach so, verstehe.« Nachdenklich nickte er, setzte dann den Weg langsam fort. »Nun, ich kann das nicht wirklich beurteilen.«
»Aber Ihr habt doch sicherlich ein Gefühl dafür, was sie denken mögen?«
»Mejuffer op den Graeff, Ihr macht es mir nicht einfach.« Verlegen schaute Pastorius zur Seite.
»Weshalb? Es ist eine simple Frage, die Ihr schlicht beantworten könnt. Es geht doch nur um Euer Gefühl.«
»Schlicht? Nein, das ist nicht schlicht. Ich muss doch so einiges bedenken. Ich kenne inzwischen Eure Meinung zu der Angelegenheit, Ihr seid dagegen, in Pennsylvania zu siedeln. Ihr habt gute, wichtige Gründe. Eure Brüder haben andere Gründe, die für das Aussiedeln sprechen. Aber sie zweifeln auch. Sie haben mich hierher gebeten, damit ich über das Land spreche, erkläre, wie es sein wird, was Euch erwartet.«
»Wie wollt Ihr das wissen, ohne dort gewesen zu sein?«
»Richtig. Das habt Ihr mich schon gestern gefragt. Als erste Person überhaupt. Eure Frage hat mich verblüfft und lange beschäftigt.«
»Ich kann kaum glauben«, sagte Margaretha, »dass noch nie jemand zuvor dies gefragt hat.«
Pastorius lachte leise. »Nun denke ich ebenso wie Ihr. Aber es ist wahr. Es gab andere Fragen, Fragen, die hier noch nicht gestellt worden sind.«
»Welche?« Margaretha blieb stehen. Ein Kloß hatte sich in ihrem Magen gebildet, und auf der Zunge schmeckte sie den bitteren Geschmack der Enttäuschung.
»Die meisten Fragen, die hier nicht gestellt wurden, warenmonetärer Art. Welche Währung dort gelten würde, ob Gold dort etwas wert wäre, man hätte von Muschelschnüren gehört. Ob es Handel gäbe und welcher Art? Woher man Wein oder Branntwein beziehen könnte? Diese Fragen scheinen sich Euch nicht zu stellen.«
»Branntwein?« Margaretha lachte laut auf, ihr Lachen hallte zwischen den engen Wänden der Backsteinmauern. »Solche Fragen mögen vielleicht noch kommen. Mich beschäftigt eher: Woher bekomme ich ein Schwein, das ich mästen kann, und wächst dort Flachs?«
»Flachs wächst dort, wurde mir versichert. Die Böden sind gut, unverbraucht.«
»Das ist gut und schön, Mijnheer Pastorius, aber was machen wir im ersten Jahr? Flachs muss angebaut, er muss wachsen, dann geerntet werden und verarbeitet. Es dauert eine Weile, bis man Faden daraus spinnen und diesen verweben kann.«
»Ihr habt recht. Das sind Gedanken, die ich
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