Die Heilerin
zur Mast in den Bruch oder die umliegenden Wälder. Meistens aber wurden die Schweine auf die abgeernteten Felder getrieben. Nur selten jedoch lief eine Rotte von mehreren Schweinen unbeaufsichtigtdurch den Forst. Der Flurschaden, den sie anrichten konnten, wurde geahndet. Die Tiere, obzwar zahm, waren groß und konnten in Panik ohne Schwierigkeiten einen erwachsenen Menschen umrennen und zu Tode trampeln. Margaretha und Jan war das bewusst. Mühsam versuchten sie sich auf dem durch das Moos rutschigen Baumstamm zu halten.
»Es sind alles Sauen«, flüsterte Jan.
»Ja, aber sie sind trotzdem groß.« Margaretha rutschte ab, sie hockte sich nieder, griff nach einer Efeuranke und versuchte das Gleichgewicht zu finden. Noch hielten sich die Tiere am Rande der Lichtung auf, doch sie kamen immer näher.
»Wenn wir zur anderen Seite runterspringen, können wir weglaufen.« Jan schaute sich um.
»Mein Beutel und die Schütte liegen aber doch noch hier.« Margaretha überlegte. Sie könnte versuchen, leise vom Stamm hinabzugleiten, die Sachen zu greifen und dann in die andere Richtung davonzulaufen. Wie schnell waren Schweine? Sie konnte es nicht einschätzen. Doch nun näherte sich eine der Sauen. Sie hob den Kopf, schnaubte und kam auf den Baumstamm zu. Sie schnupperte an der Schütte, trat dann achtlos darüber, fand den Beutel mit dem Brot und dem Käse, verschlang die Brotzeit grunzend. Es knirschte laut, als sie auf den Tonkrug trat.
»Verdomme!« Margaretha ärgerte sich über sich selbst, wäre sie doch nur schneller gewesen, hätte sie doch nur die Sachen direkt gepackt und mitgenommen. Nun war es zu spät. Der Vater würde grantig sein, die Mutter enttäuscht. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie kalt es war. Wolken waren aufgezogen, die Sonne nicht mehr zu sehen. Wann war das geschehen, dachte sie verwirrt.
»Lass uns weglaufen!« Jan schaute nach unten. Die Sau grub nun am Rande des Baumstamms, stieß immer wieder mit ihrem Kopf gegen ihn. Eine zweite Sau war ihr gefolgt, wühlte ebenfalls am Fuße des Stammes. Pilze mochten dort sein oder Getier.
»Komm, wir verschwinden, Margret. Ich spring jetzt runter«, sagte Jan und sprang. Für einen Augenblick zögerte sie, dann folgte sie ihm. Auf der anderen Seite des Baumstammes war eine Kuhle, es war um einiges tiefer als auf der anderen Seite. Durch das bunte Laub hatte das Margaretha nicht erkennen können, umso überraschter war sie und kam falsch auf. Ein Stich fuhr durch ihren Knöchel, scharf wie ein Messer, und für einen Moment blieb ihr die Luft weg.
»Komm!« Jan packte ihre Hand, seine Stimme klang eindringlich, er zog sie mit sich. Sie hörten das Grunzen und Quicken der Sauen, die hinter ihnen die Lichtung absuchten, der Baumstamm ächzte, und mit einem Seufzen neigte er sich zur Seite und kippte um. Wie erstarrt blieb Margaretha stehen, schaute auf die Lichtung, die plötzlich ganz anders aussah, da der Stamm in die Kuhle gefallen war. Sie hatte Blick auf die Rotte, die sich aufgeregt an der nun kahlen Stelle vergnügte. Nicht einen Moment zu spät waren sie davongekommen, sie hatten wirklich Glück gehabt. Nachdem sie eine Weile gelaufen waren, wurde ihnen bewusst, dass die Rotte nicht folgte. Erschöpft machten sie Halt. Nun pochte der Schmerz in Margarethas Knöchel, und ihr Gewissen plagte sie.
»Die Schütte, der Beutel und der Krug – ich habe alles verloren. Ich komme nach Hause ohne Reisig und ohne die Dinge. Es wird fürchterlich werden.« Tränen stiegen ihr in die Augen.
»Onzin. Deine Eltern lieben dich, es sind gütige Menschen. Sie werden es verstehen. Kannst du gehen?«
»Ich weiß es nicht. Es tut weh.« Versuchsweise setzte sie den Fuß auf, verzog das Gesicht.
»Ist es arg schlimm?« Besorgt beugte sich Jan vor.
»Es muss ja gehen.« Langsam kämpften sie sich durch das Unterholz, bis sie wieder auf einen Weg trafen. Margarethas Knöchel pochte und schmerzte, sie humpelte mehr als sie ging. Die Wolken wurden dichter, der Tag schritt voran, es wurde Abend und kühl.
»Gottegot. Wir werden das Stadttor nicht mehr rechtzeitig erreichen«, jammerte Margaretha. »Es wird schließen, bevor wir da sind.«
»Wir müssen es schaffen.« Jan biss die Zähne zusammen, die Kiefermuskeln zeichneten sich deutlich in seinem kantigem Gesicht ab. Er griff nach ihrem Arm, stützte sie, zog Margaretha mit sich. Es wurde immer dunkler, ein Graupelregen setzte ein.
O nein, nicht noch das, dachte Margaretha verzweifelt. Ihr war kalt, aber
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