Die Heilerin
Quartier bezogen hätten.«
»Nun ist es aber so, wie es ist.« Rebecca lachte bitter. »Es hat schon gut getan, mir Luft zu machen. Sehr lange wird es ja nicht mehr dauern, die Zeit halte ich noch aus. Wie geht es deiner Mutter?«
»Das Fieber hat sie überstanden, aber sie ist immer noch schwach«, sagte Margaretha nachdenklich. »Sie sagt, sie hat sich verlaufen in dieser Nacht. Das kann ich verstehen. Vermutlich wäre es jedem von uns so gegangen, aber es scheint mir nur die halbe Wahrheit zu sein.«
»Weshalb?«, fragte Rebecca leise.
»Ich kann es nicht begründen, ich weiß auch nicht, ob ich recht habe, aber Mutter erscheint mir …« Sie stockte und schnaufte. »Sie erscheint mir verwirrt. So war sie schon mal, damals, nachdem Eva gestorben war. Wir haben für eine Weile gedacht, sie hätte den Verstand verloren.«
»Du glaubst, sie wird verrückt?« Rebecca blieb wieder stehen, starrte Margaretha entsetzt an.
»Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, nun ja, sie wird alt.« Margaretha senkte den Kopf, kämpfte mit den Tränen. »Ich habe es schon vor einer Weile bemerkt, wollte es aber nicht wahrhaben. Sie wird vergesslich, wiederholt sich, manchmal beendet sie einen Satz nicht. Ich habe es auf die Anstrengungen der Reise geschoben. Habe es damit entschuldigt, dass es auch ihr nicht leichtgefallen war, die Heimat zu verlassen. Doch nun bin ich mir nicht mehr sicher. Sie sagt, in der Nacht habe das Unwetter sie überrascht und sie habe sich verirrt.«
»Das ist doch durchaus möglich«, sagte Rebecca leise.
»Ja, natürlich. Aber ich hatte den Eindruck, dass sie stundenlang durch die Straßen geirrt ist und keinen Unterschlupf gesucht hat.« Margaretha holte tief Luft. »Dass sie überhaupt nicht mehr wusste, wo sie war.« Sie schüttelte den Kopf. »Die Vorstellung tut mir weh und lässt mich verzweifeln. Bis auf die Zeit nach Evas Tod war Mutter immer stark. Sie hatte keine Schwächen und war immer für alle anderen da. Und auf einmal wird sie anders. Ich habe bisher noch mit niemandem darüber gesprochen.«
Rebecca nahm sie in den Arm. »Ich verstehe dich. Aber warte erstmal ab, vielleicht ist sie nur geschwächt und erholt sich wieder.«
»Ja, vielleicht.«
Voller Sorge beobachtete Margaretha die Mutter in den nächsten Tagen. Gretje schien sich zu erholen, blieb aber wortkarg.
Es war Mitte Juli, als sie endlich einen Frachter fanden, der den ganzen Tross mit all ihrem Gepäck aufnehmen und nach England bringen konnte. Schon bei der Ankunft in Rotterdam hatten die Familien die Pferde und Karren verkauft. Nun wurden die Kisten und Kästen, die Säcke und Taschen an Bord des Zweimasters gebracht.
Hermann war unruhig und trieb alle zur Eile an, denn James Claypoole hatte aus Gravesend geschrieben, dass die »Concord« zur Abfahrt bereit läge und die Zeit dränge.
Das Schiff lag tief im Wasser, die Frachträume waren mit dem Habe der Familien gefüllt. Schlafplätze oder gar Kabinen gab es nicht, sie mussten mit dem Zwischendeck vorliebnehmen. Der Anker wurde gelichtet, die Segel wurden gesetzt. Begleitet von den schrillen Schreien der Möwen, die über dem Hafenbecken kreisten, stach das Schiff in See. Ein unruhiges Ruckeln ging durch das Boot, als die Taue gelöst wurden und es sich vom Ufer entfernte.
Dann verließen sie den Hafen, segelten auf die offene See. Nun rollte das Schiff in der Dünung. Margaretha traute sich nicht an Deck. Sie saß mit dem Rücken an der Schiffswand, hatte die Beine angezogen und die Arme darumgelegt. Ihr wurde flau, sie schloss die Augen und betete.
»Hier«, sagte Gretje und setzte sich neben sie. »Nimm dies und kau langsam. Es ist ein Stück der Ingwerwurzel. Ich hatte davon schon gehört, es aber erst jetzt erwerben können. Es schmeckt scharf, aber es hilft gegen Übelkeit.«
Margaretha kaute das kleine holzige Stück Wurzel, das ihre Mutter ihr gegeben hatte. Es schmeckte tatsächlich scharf und sehr fremdartig. Für einen Moment wurde ihr noch schlechter als zuvor. Doch dann ließ die Übelkeit allmählich nach. Die Bewegungen des Schiffes wurden gleichmäßiger, und dochblieb eine gewisse Anspannung in der Luft. Nach einigen Stunden – die Nacht war inzwischen hereingebrochen – traute Margaretha sich an Deck. Der Sternenhimmel leuchtete über ihr und schien sich weiter auszudehnen, als sie für möglich gehalten hatte. Sie stand an der Reling und bewunderte die Sicht.
Die meisten der Passagiere hatten sich bei Einbruch der Dunkelheit auf das
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