Die Heilerin
man bat Gott um Beistand bei dieser doch wichtigen Entscheidung. Nach zwei Wochen waren fast alle Dinge geklärt, aber nun zog eine Schlechtwetterfront auf. Erst erschien es so, als habe sich nur ein Gewitter über dem Meer zusammengebraut.
An diesem Tag war Gretje wieder mal im Hafen unterwegs. Immer noch suchte sie nach weiteren Heilpflanzen, Samen und Kräutern. Wie besessen ging sie jeden Tag in der Frühe los, das Angebot war so überwältigend, dass es ihrschwerfiel, etwas zu kaufen. Margaretha war in der Unterkunft geblieben und half Esther mit den Kindern. Der kleine Jacob litt an einem Fieber und quengelte. Samuel war verstockt und in sich gekehrt, er begriff nicht, warum die Familie das Heim verlassen hatte, und sehnte sich zurück nach Krefeld.
»Warum können wir nicht zurück, Tante Margret? Ich wünsche es mir so sehr«, sagte er betrübt.
Margaretha sah den kleinen Jungen an, der bedrückt neben Jonkie auf dem Boden saß, den Hund kraulte und mit aller Macht versuchte, die Tränen hinunterzuschlucken. Er dauerte sie.
»Wir sind doch auf der großen Reise, Hartje, und noch gar nicht am Ziel. Es wird noch eine Weile fortdauern, aber dann wird alles wieder besser werden. Solange müssen wir durchhalten.«
»Aber, Tante, hier geht es uns doch nicht gut. Es ist eng und unbequem, überall sind wir im Weg, und Jacob ist sogar krank geworden.« Er hob den Kopf und sah sie mit großen und traurigen Augen an. »Zuhause würde es uns besser gehen. Ich will nach Hause. Da war Jacob nie krank.«
Margaretha lachte leise. »Dein Bruder bekommt die ersten Zähne. Das ist ganz normal und oft von Fieber begleitet. Das wäre ihm in Krefeld ebenso ergangen. Komm mal her, Liefje, komm auf meinen Schoß.«
Samuel stand auf und ging zu ihr, zögernd kletterte er auf ihre Knie, dann seufzte er auf und drückte sich an sie. »Ich möchte so gerne nach Hause«, wisperte er.
»Ich weiß.« Margaretha wiegte ihn sanft. »Aber wir müssen noch durchhalten. Es dauert sicher nicht mehr lange, dann fahren wir mit einem Boot über die See nach England. Dort wartet schon ein großes Schiff auf uns. Es heißt ›Concord‹. Mit dem werden wir über das Meer segeln zu unserer neuen Heimat. Es ist aufregend und ungewohnt, und es macht nicht nur dir Angst. Aber dein Vater und deine Onkel haben sich gut überlegt, dass es so besser für uns ist. Ich vertraue deinem Vater.«
»Hast du auch Angst, Tante Margret?«, wisperte er.
»Ja, aber ich habe auch Vertrauen in Gott und in die Familie.«
»Dann will ich es auch versuchen.« Er schob den Daumen in den Mund, nuckelte daran und schlief in Margarethas Armen ein. Sie wiegte ihn, sah aus dem Fenster und versuchte, ihre Ängste zu bekämpfen und für ihn stark zu sein.
Der Himmel hatte sich inzwischen zugezogen, in der Ferne grollte es bedrohlich. Immer wieder lauschte Margaretha, aber auf der Stiege waren keine Schritte zu hören. Als der Regen einsetzte, legte sie Samuel auf das Bett und trat an das Fenster. Wie eine Wand fiel das Wasser vom Himmel, es blitzte und donnerte ohne Unterlass. Margaretha zog das Umschlagtuch enger um ihre Schulter und starrte besorgt nach draußen. Kein Mensch war mehr zu sehen. Das Pflaster auf der engen Gasse vor dem Haus schien sich in einen Bach verwandelt zu haben. Gretje würde sicher irgendwo Unterschlupf gefunden haben. Die Kerze, die auf dem kleinen Tisch stand, flackerte in der Zugluft. Als eine Windböe gegen das Haus schlug, ging die Flamme aus. Die Angst der Vorsehung erfasste Margaretha und kroch in ihr hoch. Wie gelähmt blieb sie in der Dunkelheit stehen, die immer wieder von dem grell leuchtenden Licht der Blitze durchzuckt wurde.
Erst spät am Abend ließ das Unwetter nach. Hermann hatte sich erfolglos auf die Suche nach Gretje gemacht und war nach einer Stunde durchnässt zurückgekehrt.
»Sie wird sich irgendwo untergestellt haben«, sagte er und schüttelte sich.
»Das denke ich auch«, meinte Esther. »Zieh die nassen Sachen aus, sonst holst du dir noch den Tod.« Sie trug den kleinen Jacob, wiegte und schaukelte ihn. Sein Fieber war heruntergegangen, aber er wollte nicht in den Schlaf finden.
»Ich hätte mit ihr gehen sollen«, sagte Margaretha leise.
»Ich bitte dich, Margret, was hätte das geändert?« Hermann schnaubte und schälte sich aus der nassen Joppe. »Seitmehr als zwei Wochen streift sie nun täglich durch das Handelsviertel und den Hafen. Sie wird sich nicht verlaufen haben, und gegen den Regen hättest du auch
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