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Die Heilerin

Die Heilerin

Titel: Die Heilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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er dort ausstieß, erinnerte an das Heulen eines Wolfes. Margaretha erschauderte, zwang sich aufzustehen und zu ihm zu gehen. Schweigend blieb sie vor ihm stehen. Isaak hatte den Mund weit aufgerissen, der Rotz lief ihm aus der Nase, Tränen rannen ihm über die Wangen.
    »Vadertje …«, wisperte Margaretha hilflos.
    »Godallemachtig, Margret«, schluchzte er, schloss sie in seine Arme und drückte sie an sich.
    »Ja.«
    Für eine Weile standen sie da, hielten sich fest, spendeten sich Wärme und Trost. Dann richtete Isaak sich wieder auf, wischte sich über das Gesicht. »Geh wieder hinein und kümmere dich um unseren Gast. Haben wir noch Schinken, Blutwurst, Brot? Wein auch. Ich komme gleich.«
    Margaretha wusste, dass er einen Moment brauchte, um sich zu sammeln. Sie ging zurück in die warme Wohnküche, die Brüder und der Gemeindeälteste saßen schweigend da, starrten die Tischplatte an, als ob dort eine Landkarte verzeichnet wäre.
    »Vater kommt gleich«, sagte Margaretha heiterer, als sie sich fühlte. Die Trauer lastete auf allen und schien sie niederzudrücken. »Mijnheer Selbach, habt Ihr noch zu trinken?« Ohne seine Antwort abzuwarten, schenkte sie ihm nach, stellte Brot, Butter und Schmalz auf den Tisch, holte den angeschnittenen Schinken aus der Vorratskammer, dazu Käse und Zwiebeln.
    Selbach langte zu, und auch die Brüder griffen nun nach dem Brot und dem Schinken. Schweigend aßen sie für eine Weile. Schließlich kehrte Isaak zurück. Er hatte sein Gesicht gewaschen, sah gefasst aus.
    »Wir müssen uns zusammensetzen. Wir müssen feststellen, ob die Feindlichkeiten gezielt uns Mennoniten gelten, und dann müssen wir sehen, was wir machen. Krefeld ist eine gute Stadt. Eigentlich haben wir hier Zukunft. Was Eva …«, er stockte, atmete tief ein, »was meiner Tochter hier passiert ist, hätte ihr auch woanders passieren können, unabhängig von ihrem Glauben. Für uns war sie ein Geschenk, eine Gottesgabe. Sie war immer fröhlich, herzlich, hat in allem etwas Gutes gesehen und in ihrem Leben mehr gelacht als geweint. Eva war ein Geschenk.« Er seufzte. »Doch selbst der große Täufer Luther hält solche Kinder für Teufelskinder, entstellt. Ob nunvom Satan gezeugt oder nur missgestaltet – das spielt auch keine Rolle mehr. Er wusste nicht, wovon er sprach, hat nie mit einem so fröhlichen Kind gelebt, es geliebt. Aber wir haben es. Andere mochten sich fürchten. Und das Gerücht, das Gretje dieses Kind geboren und somit Unheil in die Wochenstube bringt, gab es schon länger.«
    »Eva ist nicht vom Teufel!«
    Alle schraken hoch. Es war Gretje, die in der Türöffnung stand und ins Leere sah. Ihr Zopf hing wüst zerzaust über ihrer Schulter, sie trug keine Haube. Im Nachthemd, barfüßig und mit irrem Blick stand sie da, hielt das tote Kind in den Armen. Langsam schritt sie vorwärts, setzte sich vorsichtig auf einen Stuhl, so als wolle sie Eva nicht wecken. Sachte schaukelte sie das Kind, wiegte es.
    »Eva ist nicht vom Teufel, sie ist ein Geschenk Gottes, und sie macht uns glücklich«, sagte Gretje und nickte bekräftigend.
    »Mutter …« Hermann stand auf, blickte fassungslos auf Gretje. »Mutter, bitte …«
    Isaak sah ihn streng an, stand dann auf. Es wirkte, als würde er eine Zentnerlast tragen. »Liebes, gib mir das Kind.«
    Gretje schaute auf, sah jedoch an ihm vorbei. Sie lächelte. »Psst, Isaak, sie schläft. Lass sie schlafen.«
    Die Geschwister tauschten verblüffte, verwirrte Blicke.
    »Gretje, gib mir Eva. Leg dich hin und schlaf dich aus. Du brauchst Ruhe.«
    Margaretha erhob sich. Langsam ging sie zu ihrer Mutter.
    »Eva schläft, Isaak. Pssst.« Gretje lachte leise. »Weck sie nicht.«
    »Ja, sie schläft. Gib sie mir, sie wird nicht aufwachen. Nun komm, lass mich meine Tochter halten.«
    Für einen Augenblick sah Gretje ihn an, die Verzweiflung war deutlich in ihrem Blick zu sehen. Sie verzog das Gesicht, biss sich auf die Lippen.
    »Gib mir das Kind«, sagte Isaak nochmal sanft, aber bestimmt.
    Langsam, ganz langsam hob Gretje die Arme, reichte ihm das tote Kind. Vorsichtig, fast zärtlich nahm er es in die Arme. »Nun ist es gut. Sie wird bei mir ruhen. Ich kümmere mich um alles andere. Du solltest zu Bett gehen, Frau.« Isaak sah zu Margaretha, nickte ihr zu.
    »Komm, Moedertje«, sagte sie und umfasste die Mutter an den Schultern. »Komm, lass uns nach oben gehen. Dirck bringt uns Würzwein und eine Schale Brühe. Die brauchst du nun.« Sie warf Dirck einen Blick zu,

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