Die Heilerin
Geschwister waren vor Jahren schon der Ruhr zum Opfer gefallen. Es gab noch eine Tante von Gretje mit ihrem Mann. Die beiden waren kinderlos geblieben und lebten sehr zurückgezogen und verschlossen, wurden immer wunderlicher.
Wunderlich, das Wort blieb in Margarethas Gedanken kleben wie Honig. Wunderlich, war es das, was ihre Mutter nun auch wurde? Margaretha versuchte den Gedanken abzuschütteln, es gelang ihr kaum. Als es an der Tür klopfte, zuckte sie zusammen. Der Vater saß am Tisch, trank Branntwein. Dirck schnitzte stumm an einem Scheit Holz, Abraham und Hermann waren gegangen, wohin, wusste Margaretha nicht. Sie war gerade im Hof gewesen, hatte einem Huhn den Hals umgedreht und rupfte es nun. Es klopfte wieder, doch weder Isaak noch Dirck schienen es zu hören.
»Verdomme, Dirck! Geh und mach die Tür auf! Oder soll ich etwa gehen? Und alle Federn im Haus verteilen?«, fragte sie wütend.
Er sprang erschrocken auf. »Entschuldige, ich war ganz inGedanken. Ich musste an den letzten Sommer denken, als wir den Ausflug zum Rhein gemacht haben. Weißt du noch? Eva wollte alle Pusteblumen haben und wegpusten. Sie hat so gelacht.«
»Es hat geklopft. Mach die Tür auf«, sagte Margaretha verbittert. Es gab so viel zu tun, und sie hatte weder die Zeit noch die Kraft, diese Erinnerungen hochzuholen und darüber nachzudenken. Das konnte sie erst nachher, wenn sie im Bett lag. Und vielleicht noch nicht mal dann.
Dirck ging zur Haustür. »Goedenavond, Mevrouw Kunders, Mijnheer Kunders.« Er stockte.
»Goedenavond, minn Zoon. Wir haben gehört, dass es einen beklagenswerten Trauerfall in Eurer Familie gab, und wollten unser Beileid aussprechen«, sagte Tönis Kunders.
»Wir habe eine Pastete mitgebracht, damit ihr in dieser schweren Zeit nicht eure Kraft in der Küche verschwenden müsst. Gerne bringe ich auch mehr.«
Wie erstarrt blieb Dirck an der Tür stehen, sah die beiden an. Margaretha seufzte, stand auf, strich die Federn von ihrem Rock und ging in die Diele. »Bitte kommt herein.«
Vor der Tür der Stube blieben sie stehen, warfen einen bestürzten Blick auf das tote Kind. Mehrere Kerzen erhellten den Raum, ließen ihn kirchenähnlich aussehen.
»Hach Haerm«, seufzte Gitta Kunders. »So ein Engel.« Sie schüttelte den Kopf und drängte ihren Mann in Richtung Küche.
Kaum hatten sie Platz genommen und Margaretha ihnen Würzwein und Bier aufgetragen, klopfte es erneut. Diesmal reagierte Dirck schneller, eilte zu Tür.
»Mevrouw Sipmann, Mijnheer, kommt herein.«
»Wir bringen einen Eintopf und frisches Brot.«
Und so ging es in einem fort. Nach und nach kamen Nachbarn und Gemeindemitglieder, brachten Speisen, Getränke, zeigten ihre Anteilnahme. Man erkundigte sich nach Gretje, gab sich mit dem Hinweis, dass sie ruhte, aber schnell zufrieden.Die Gespräche verliefen zuerst gedämpft, doch nach einigen Humpen Bier und Bechern Würzwein wurden die Stimmen lauter.
Margaretha räumte das halb gerupfte Huhn in die Vorratskammer, brachte Geschirr und Besteck in die Küche, füllte Becher. Der Abend wurde länger und länger. Ihr Vater und die inzwischen zurückgekehrten Brüder verstrickten sich in lautstarke Gespräche. Margaretha gelangte an das Ende ihrer Kräfte. In der letzten Nacht hatte sie kaum geschlafen, und der Tag hatte ihr mehr abverlangt, als sie zu tragen vermochte. Zweimal schlich sie sich hoch zu Gretje, stellte beruhigt fest, dass die Mutter schlief. Schließlich lehnte sie sich gegen die Mauer neben dem Herd, spürte die angenehme Wärme der Backsteine im Rücken und schloss die Augen.
Gretje spielte im Sonnenlicht mit Eva im Hof. Sie ließen einen Stoffball zwischen sich hin und her rollen. Die Staubkörner glitzerten im Licht, der Kater sprang aus der Hofecke, schnappte sich den Ball und zog fauchend damit davon. Eva lachte auf, sie lachte ihr perlendes Lachen, das wie Wasser klang, hoch, rein und fröhlich. Und dann sah sie Eva staunend am Fenster. Die ersten Schneeflocken fielen, das Licht der Kerzen machte sie zu Edelsteinen, glitzernd und leuchtend, Eva klatschte begeistert in die Hände und lief in den Hof. Ihre Enttäuschung war groß, da die Schätze zwischen ihren Handflächen einfach hinwegschmolzen.
Und wie Eva lachte, jedes Mal, wenn sie dem Schwein die Abfälle aus dem Haus brachte und das Tier grunzend und schnaufend darüberfiel, es zerkaute, zermalmte, schnaufend und hektisch. Staunend betrachtete das Kind das gierige Tier, schüttete ihm nach, freute sich an ihm,
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