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Die Heilerin

Die Heilerin

Titel: Die Heilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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doch der Junge saß wie erfroren auf seinem Platz, Entsetzen in das Gesicht geschrieben. »Komm nun.« Margaretha zwang Gretje sacht, aufzustehen und zur Treppe zu gehen. Am Fuß der Stiege drehte sich die Mutter um. »Mein Kleines … mein Tausendschön …«, stammelte sie hilflos und verloren.
    »Vater sorgt dafür. Nun komm.« Sanft schob sie die Mutter nach oben, brachte sie in das Schlafgemach der Eltern, half ihr, die Kleidung zu wechseln, und brachte sie zu Bett. Gretje ließ alles klaglos über sich ergehen. Wie gefangen verrichtete Margaretha die Handlungen, fühlte sich klein und gleichzeitig groß, ein seltsames Gefühl. Ihre Mutter war immer für sie und die Geschwister da gewesen. Nun war es umgekehrt.
    Bevor Margaretha hinunterging, zog sie rasch die Betten in ihrer Kammer ab, brachte dann die Schmutzwäsche in den Hof, außer Sichtweite.
    Isaak hatte Eva in die Stube gelegt. Hilflos, verloren stand er in der Türöffnung und schaute seine tote Tochter an.
    Jakob Selbach saß mit den Brüdern fassungslos in der Küche. Margaretha schöpfte Atem, fuhr sie dann an. »Nun bewegt euch. Ich brauche Hilfe. Heißes Wasser zum Waschen von Eva und Mutter, kochendes Wasser für einen Aufguss, der Bestatter muss kommen, so schnell als möglich, Mijnheer Selbach. Bitte kümmert euch darum.« Sie stemmte die Arme in die Hüften. »Einen ganzen Schinken brauchen wir für den Leichenschmaus morgen. Du trägst dafür Sorge, Abraham, dass er gebraten wird. Hermann wird die Familie und die Gemeindeunterrichten. Dirck hilft mir in der Küche. Und ich geh jetzt wieder zu Mutter. Das warme Wasser bringt ihr mir.« Es waren keine Bitten, es kam Befehlen gleich, was Margaretha aussprach. Sie fühlte sich nicht wohl damit, wusste aber nicht anders zu reagieren. Für einen flüchtigen Moment kam ihr die Erkenntnis, dass die Mutter nun krank war und sie den Haushalt übernehmen und führen musste. Der Gedanke barg grausiges Erschrecken.
    Margaretha ging in Gretjes Kräuterkammer. Nur die Anfänge, die Grundzüge, hatte sie bisher gelernt. Vieles war ihr noch fremd oder verborgen. Trotzdem musste sie nun handeln. Ihre Mutter litt unter Niedergeschlagenheit und Kummer. Dagegen half ein Aufguss aus Johanniskraut, das wusste Margaretha. Aber auch Melisse und Baldrianwurz konnten hilfreich sein. Sie nahm von den Pflanzen, brachte sie in die Küche. Dort hatte Dirck schon das Wasser im kleinen Topf zum Brodeln gebracht. Dampfschwaden zogen durch die Küche. Margaretha zerrieb die Blätter, stampfte die Wurzel, goss heißes Wasser darauf.
    Den Aufguss brachte sie nach oben. Ihre teilnahmslose und in sich gekehrte Mutter zu waschen war eine Aufgabe, der sie sich kaum gewachsen fühlte. Und doch schaffte sie es. Sanft brachte sie die Mutter dazu, den bitter schmeckenden Aufguss zu trinken und ein wenig Brühe zu sich zu nehmen. Gretje sprach kein Wort. Nach einer Weile schlief sie ein, und Margaretha hoffte, dass der Schlaf ihr Erholung bringen würde. Wird sie nun verrückt?, fragte Margaretha sich. Ist es das, was passiert, wenn ein Herz bricht? Setzt dann der Verstand aus?
    Bisher war sie noch nie mit so einem Fall konfrontiert gewesen. Der Schrecken über die Gedanken fuhr ihr in die Knochen. Mit zitternden Schritten ging sie die Stiege hinunter. Der Vater kniete vor dem Kanapee, auf das er das tote Kind gebettet hatte. Er schluchzte leise.
    »Wir müssen sie waschen und anziehen. Sie muss aufgebahrt werden.« Margaretha fürchtete sich davor und wolltedeshalb diese Aufgaben so schnell als möglich getan bekommen. Der Vater nickte. Langsam stand er auf, es schien ihm schwerzufallen. Gebückt verließ er die Stube. Schlagartig wurde Margaretha klar, dass sie auch diese Aufgabe alleine bewältigen musste. Sie wusch das Kind mit einem weichen Lappen, sanft strich sie über die wächserne Haut, die nun bläulich schimmerte. Sorgfältig zog sie der Schwester die Lieblingskleidung an, drückte ihr eine der Strohpuppen in die kleinen, pummeligen Hände. Die Haube hatte sie fest verschnürt, der kahle Kopf war so nicht mehr zu sehen. Das Kind wirkte friedlich, fast so als schliefe es. Doch inzwischen veränderten sich die Gesichtszüge, der Tod hatte von dem Körper Besitz ergriffen. Länger als zwei Tage durfte kein Toter über der Erde bleiben, so sagten es die Vorschriften des Stadtrats.
    Margaretha stöhnte auf. Sie hatten keine nahe Verwandtschaft in der Stadt. Die zwei Brüder ihres Vaters waren nach Amsterdam gezogen, Mutters

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