Die Heilerin
mehr. Aber Mutter weiß es bestimmt noch.«
»Ihr meint, es könnte Rache wegen einer Behandlung gewesen sein? Das glaube ich nicht. Meine Frau ist wohlgelitten in der Stadt. Nein, es muss andere Gründe dafür geben. Gab es noch mehr Übergriffe oder Streitigkeiten?«
»Die Stadtwache hat ordentlich zu tun. Der Winter ist streng, es ist früh dunkel, und einige Gesellen zieht es ins Wirtshaus. Die Stimmung ist in der ganzen Stadt angespannt. Noch ist nicht klar, ob es wirklich zum Frieden kommt. Französische und münsterische Truppen stehen bei St. Tönis und Linn. Immer wieder kommt es zu Plünderungen der Höfe. Krefeld muss, obwohl wir nicht dem Landtag zu Moers angehören, Gelder zahlen.«
»Das kann dazu beitragen, dass die Leute Schuld bei anderen suchen oder Unschuldige angreifen.« Isaak stopfte seine Pfeife erneut.
»Wir Mennoniten geraten in das Zentrum schlechter Gedanken. Wir haben keine Bürgerrechte bisher, aber Privilegien.«
»Die wir teuer bezahlen, Bruder Jakob«, sagte Hermann. »Aber Ihr habt recht. Das, was Ihr sagt, habe ich auch verspürt.Eine unterschwellige Missgunst. Ob es schon Hass ist? Wir sollten darüber nachdenken, die Stadt zu verlassen.«
»Und wohin sollten wir ziehen, Bruder Hermann? Fast nirgendwo mehr werden wir geduldet. Krefeld ist unsere Zuflucht geworden. Und noch mehr Familien werden zuziehen, da bin ich mir sicher.«
»Leyden wäre eine Alternative. In den Niederlanden ist man immer noch liberal und offen für uns Täufer.«
»Immer noch. Der Krieg ist noch nicht ganz vorbei, das Blatt kann sich wenden. König Ludwig von Frankreich interessieren Glaubensfragen nicht, und König Karl hat die freien Gemeinden schon aus England vertrieben. Nein, nein. Wir müssen unsere Position hier stärken.«
»Bei Gott, Bruder Jakob, wir stärken hier nichts. Wir senken die Köpfe, zahlen und zahlen, nur um geduldet zu sein. Und die Repressalien werden schlimmer, nicht besser. Wir müssen uns fast heimlich treffen, um den Gottesdienst zu verrichten, wir werden beschimpft und angespuckt. Das ist doch kein Leben. Was ist mit der Mission von Mijnheer Penn?«, fragte Abraham.
»Ach, Penn.« Selbach winkte ab. »In Neuengland eine Kolonie zu gründen, die gottesfürchtig, gläubig, aber auch frei ist, ist ein schöner Traum. Der Mann hat doch noch nicht einmal Land dort.«
»Land kann man kaufen. Bei der Virginia-Kompanie zum Beispiel.«
»Bruder Abraham, wollt Ihr wirklich unter die mordenden und rohen Wilden gehen? In ein Land, von dem wir fast nichts wissen? Habt Ihr Euch mal erkundigt, was man auf so eine lange Schiffsreise mitnehmen kann? Viel ist es nicht. Ohne Vorräte, ohne Habe in ein wildes Land? Wie stellt Ihr Euch das vor?«
»Das Land dort soll fruchtbar sein und die Wilden gar nicht so wild. Wenn man ihnen mit Nächstenliebe begegnet, werden sie es verstehen. Auch sie sind Kinder Gottes undMenschen.« Abraham trank hastig einen Schluck Würzwein, wischte sich über den Mund. Seine Augen funkelten, Margaretha sah darin das Feuer der Begeisterung glühen.
»Mein Sohn, es klingt wundervoll, aber die Realität würde dich schnell einholen. Wir können doch nicht jedes Mal weglaufen, wenn es schwierig wird. Auch dort kann es schwierig werden. Die Siedler von Jamestown sind in den ersten Jahren gestorben wie die Fliegen. Fieber, Hunger, Wilde … alles ist fremd und unbekannt.« Isaak schüttelte heftig den Kopf. »Wir haben hier ein Standbein. Uns geht es gut. Natürlich gibt es im Moment Schwierigkeiten, aber können wir die nicht überstehen?«
»Schwierigkeiten, Vater?« Hermann sah ihn an. »Ich wundere mich über dich. Vor einigen Wochen wurde Dirck, dein Sohn, angegriffen und verletzt. Hätten nicht rechtschaffene Bürger eingegriffen, wäre es noch schlimmer gekommen.« Er schluckte, senkte den Kopf. »Und nun Evale. Jemand hat sie genommen, ihren Mantel, Kleid, Stiefel geraubt, ihren Kopf geschoren und ihr anderes angetan. Ihr Unterkleid war voller Blut – hast du das nicht gesehen?«, schrie er nun. »Sie haben ihr wehgetan, sie verletzt, sie letztendlich getötet. Ein hilfloses, wehrloses Kind. Dein Kind! Meine Schwester!« Er sackte in sich zusammen, ein grauenvolles Schluchzen entrang sich seiner Kehle, und er presste die Fäuste auf die Augen.
Isaak rieb sich mit der Hand wieder und wieder über den Mund, er war sichtlich bemüht, die Fassung zu bewahren. Dann aber kniff er die Augen zusammen, sprang auf und lief in den Hof. Der verzweifelte Schrei, den
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