Die Heilerin
Wein oder Bier.
Margaretha sammelte die Teller und Schüsseln ein, trug sie ins Waschhaus. Dirck war so umsichtig gewesen, die Herdstelle zu bestücken. Ein munteres Feuer brannte dort, und in dem großen Kessel erwärmte sich das Wasser. Margaretha begann, das Geschirr zu spülen. Eigentlich war dies die Aufgabe der Magd. Wie mochte es Annemieke gehen?, fragte Margaretha sich. Sie hatte die Magd gut leiden können. Ob sie glücklich war? Ob sie ihren Weg mit Wilhelm finden würde? Trotz all der unglücklichen Umstände, die zu Annemiekes Flucht geführt hatten, wünschte Margaretha ihr nur Gutes.
Ganz in Gedanken versunken wusch sie einen Teller nach dem anderen ab. Plötzlich öffnete sich die Tür der Waschküche. Vor dem kleinen Fenster wurde es allmählich dämmerig.
»Hier bist du. Ich habe dich überall gesucht.« Jan Scheuten stand verlegen im Türrahmen. »Wie geht es dir?«
Margaretha überlegte. Wie ging es ihr? Im Moment funktionierte sie nur und war froh darüber.
»Mir geht es ganz gut. Die Luft im Haus ist jedoch so stickig, und die vielen Leute – mein Schädel brummt von den ganzen Stimmen.« Sie lachte leise. »Deshalb habe ich mich hierhin zurückgezogen.«
»Eure Magd ist weggelaufen, habe ich gehört?«
»Ja.« Margaretha zögerte. »Jan, komm herein und mach die Tür zu, sonst zieht die Kälte hier rein.«
Jan sah sich unsicher um. »Ist das nicht unschicklich?«
Margaretha lachte, nahm ein Leinentuch und warf es ihm zu. »Nicht wenn du abtrocknest und deine Hände so beschäftigst.«
»Nun denn.« Jan lachte auch, trat ein, schloss die Tür und begann das Geschirr abzutrocknen.
»Ihr seid im Moment wirklich vom Pech verfolgt«, sagte er leise.
»Meinst du, es liegt an meiner Familie?« Margaretha sah ihn an. »Du wurdest doch auch geschlagen.«
»Ja, das war Unglück. Wir wollten die Männer in der Wirtschaft ja nicht provozieren, es ist einfach so passiert. Aber das mit Eva, das war schon Absicht.«
»Absicht.« Margaretha kaute auf dem Wort. »Das klingt so kalt, so berechnet.«
»Wie siehst du es denn? Als Missgeschick?« Ungläubig schaute er sie an. Nun wurde es wahrlich dunkel. Margaretha nahm einen Kienspan und entzündete die Kerzen. Sie ließ sich Zeit damit, überlegte in Ruhe.
»Missgeschick ist sicher das falsche Wort. Glaubst du denn tatsächlich, dass da jemand auf den passenden Augenblick gewartet hat, um sich Evchen zu greifen? Jemand hat also gelauert? Über eine längere Zeit und dann zugegriffen und gehandelt? Absichtlich? Mit Eva als Ziel?« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Das mag ich nicht glauben. Eva war immer zu verträumt und hilflos. Der Unhold hat sie sich gegriffen, als Annemiekenicht aufpasste. Er hätte sich auch jedes andere Kind packen können, das unbeaufsichtigt am Markplatz stand.«
»Margaretha, meinst du das wirklich?«
Sie stutzte, sah ihn an. »Ja. Wieso?«
»Eure Eva war anders …« Jan schaute zur Seite.
»Ja, natürlich war sie das. Sie war ein Sonnenschein.«
»Sie war krank, sie war … missgebildet. Mach dir doch nichts vor. Deine Schwester wäre nie eine normale Frau geworden. Bei aller Liebe, die ihr für sie empfunden habt, das muss euch doch bewusst gewesen sein.«
Margaretha schluckte. Dann nickte sie schwach. Sie drehte sich um, würgte.
»Margret!«, stöhnte Jan erschrocken. »Nicht doch.« Er legte seinen Arm um sie, zog sie an sich. »Ich meine es weder abwertend noch böse.« Er griff in seine Jackentasche und zog ein kleines Fläschchen hervor. »Branntwein. Magst du?« Bevor sie antworten konnte, hatte er die Flasche schon entkorkt und hielt sie ihr unter die Nase. Es roch scharf und brennend. Margaretha verzog das Gesicht, nahm aber dann die Flasche und trank einen Schluck. Es brannte in ihrem Mund, an ihrem Gaumen, in Kehle und dann in ihrem Magen. Aber schließlich breitete sich eine wohltuende Wärme in ihr aus. Sie hustete, atmete tief ein, lehnte sich gegen Jan. Er roch gut, nach Pferd und Holz, nach würzigem Speck und sich selbst.
»Wir haben Eva geliebt«, sagte sie leise.
»Ja, das hat auch jeder gewusst. Für manchen, auch aus der Gemeinde, war es befremdlich. Und viele haben immer noch Angst vor solchen Kindern, vor den Menschen, die daraus werden. Ich glaube nicht, dass Eva nur zufällig ausgewählt wurde. Das war Absicht. Sie wollten dieses Kind schänden und umbringen.«
Margaretha stockte der Atem. Diese Gedanken hatte sie auch gehabt, aber weder zu Ende gedacht noch ausgesprochen.
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