Die Heilerin
alle zurück in die Stadt. Margaretha verweilte noch an dem Grab, wartete, bis keiner mehr da war. Sie hatte zwei Katzen dabei, die Dirck geschnitzt hatte, und legte sie nun auf die Erde über den Sarg.
»Für dich, Eva.«
Margaretha blinzelte die Tränen weg, beeilte sich, die Beerdigungsgesellschaft einzuholen. Zu Hause wartete Arbeit auf sie.
Die Stimmung in der großen Küche und der Stube war gedrückt. Gretje hatte recht gehabt, jeder hatte Speisen mitgebracht. Die Frauen halfen alles anzurichten, sprachen leise miteinander. Die Männer saßen in der Stube, rauchten ihre Pfeifen und schwiegen. Margaretha brachte Bier und Wein. Man prostete sich zu, gedachte des toten Kinds.
Erst leise und murmelnd, doch dann schon bald in normalem Tonfall begannen die Männer zu diskutieren.
»Es war Mord!«
»Nein, nein, Bruder Daniel, das war es nicht. Das Kind ist hier zu Hause gestorben.«
»Aber, Bruder Simon, es starb auf Grund dessen, was ihm angetan wurde. Also ist es Mord.«
»Sie ist tot«, sagte Isaak. »Natürlich möchte ich den Schuldigen zur Rechenschaft ziehen, aber lebendig macht es sie nicht mehr.«
»Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Was wird als Nächstes passieren? Sind unsere Frauen und Kinder, unsere Söhne in dieser Stadt noch sicher? Können wir sie, können wir unsere Gemeinde schützen?« Jakob Selbach lehnte sich zurück und schaute in die Runde.
»Bruder Jakob, natürlich ist mir eine gewisse Feindseligkeit gegenüber unseren Glaubensbrüdern aufgefallen, aber wir sollten das nicht zu hoch bewerten.« Isaak zog nachdenklich an der Pfeife. »Man könnte die beiden Taten auch so bewerten, dass jemand etwas gegen meine Familie im Speziellen hat. Aber warum sollte das sein? Ich glaube, Dirck und …« Er seufzte. »… Eva sind Opfer bösartiger Mitmenschen geworden, es hätte ebensogut andere treffen können. Vielleicht will Gott auch dieser Familie eine Lehre erteilen, ihr etwas zeigen. Vielleicht waren wir zu glücklich, zu hochtrabend. Ich weiß es nicht, und diese Gedanken beschäftigen mich. Es muss nicht zwingend gegen unseren Glauben gerichtet sein.«
»Bruder Isaak, da habt Ihr wohlgesprochen, und dennoch weiß ich, dass der Zorn in der Stadt ansteigt. Bei Familie Kunders wurden faule Eier an die Fensterscheiben geworfen. Das Pferd von Bruder Johann Bleickers wurde mit unreifen Äpfeln gefüttert und starb an einer Kolik. Doch, doch, das war Vorsatz, ein halber Sack grüner Äpfel lag noch im Stall. Die Katze von Familie Simons wurde geköpft und nachts an die Haustür genagelt, und das sind nur einige Beispiele. Der Wind wird stärker und eisig.« Mijnheer Kürlis nahm seinen Becher, trank ihn leer.
Margaretha stand mit dem Weinschlauch an der Tür. Sie ging zum Tisch, füllte Kürlis und anderen nach. Die Worte der Männer beunruhigten sie.
»Gib mir den Wein, Schwesterchen, und hol dir etwas zu essen. Du siehst ganz erschöpft aus«, sagte Dirck und tätschelte ihre Schulter. »Wie geht es Mutter?« Unsicher schaute er in Richtung Küche. Dort hatte der Geräuschpegel auch deutlich zugenommen. Die erste Zeit der Rücksichtsnahme und der traurigen Gedanken war vorbei. Nun wurde erzählt und gelacht.
»Ich weiß nicht«, hauchte Margaretha. Durch das Haus wehten die Düfte von Aufläufen, Schinken, Kohl, frischem Brot und anderem. Margarethas Magen zog sich hungrig zusammen. Bisher hatte sie noch keinen Moment Ruhe gehabt.
»Nun geh und iss«, sagte Dirck besorgt und nahm ihr den Weinschlauch ab.
»Wo ist der Abort? Wir müssen dringend …« Eine Frau, die sie nur flüchtig und vom Sehen kannte, kam Margaretha entgegen. Sie führte ein schrumpeliges, gebeugtes Weiblein am Arm.
»Im Hof …« sagte Margaretha, aber da seufzte die Greisin schon auf, und ein stechender Geruch breitete sich aus. Verlegen sah Margaretha sich nach ihrer Mutter um. Gretje saß in sich zusammengesunken neben dem Herd, sie brauchte eher selbst Hilfe, als dass sie welche geben konnte.
»Kommt«, sagte sie zu den beiden Frauen, führte sie in das Waschhaus, brachte warmes Wasser und abgelegte Kleidung.
Dann säuberte sie den Boden, hielt dabei den Atem an. Der Hunger war ihr vergangen. In der Küche ging es inzwischen laut und lustig her. Es wurden Rezepte getauscht, Tratsch verbreitet.
Margaretha hockte sich vor ihre Mutter, nahm deren Hände. Gretje wirkte wieder abwesend. »Moedertje? Dies war ein langer Tag. Möchtest du dich nicht hinlegen?«
Gretje sah sie einen Moment lang verwirrt
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