Die Heilerin
Jahren hatte Eva das Christfest und Neujahr zu besonderen Ereignissen gemacht. Ihre freudige Erwartung hatte alle angesteckt, das Haus wurde liebevoller geschmückt, Leckereien hergerichtet und kleine Überraschungen für das Kind gebastelt. In diesem Jahr wollte keine Vorfreude aufkommen.
Nach einigen Tagen der Ruhe schien Gretje fast wieder hergestellt zu sein. Doch sie hatte sich verändert. Tiefe Sorgenfalten hatten sich am Mund und auf der Stirn eingegraben, sie war in sich gekehrt. Oft saß sie einfach nur da und schaute aus dem Fenster. Ihre Hände, die früher nie geruht hatten, lagen nun gefaltet in ihrem Schoß.
Obwohl Isaak sah, dass der Haushalt für Margaretha kaum zu schaffen war, sträubte er sich dagegen, eine neue Magd einzustellen.
»Nächstes Jahr werden wir uns Hilfe holen. Bruder Selbach kennt da ein Mädchen von einem der Höfe an der Landwehr. Sie soll sauber und fleißig sein. Doch ich will Mutter jetzt nicht noch eine Umstellung zumuten. Wir werden das schon zusammen schaffen.« Er nickte seiner Tochter zu und begab sich nach nebenan. Immer früher ging er in die Webstube und kam später als gewöhnlich nach Hause. Er schien sich in seiner Arbeit zu vergraben.
»So geht es nicht mehr weiter«, sagte Abraham eines Abends kurz vor Weihnachten. Er hatte sich an den Tisch gesetzt, die Beine von sich gestreckt und massierte sich müde den Nacken. Margaretha reichte ihm eine Schüssel Brühe und einen Becher mit starkem Wein. Gretje hatte sich wie neuerdings häufiger schon früh nach oben zurückgezogen. Das Essen für die Familie und die Lehrjungen und Gesellen zu kochen, oblag Margaretha allein. Seit Evas Tod aß die Familie alleine und das Gesinde drüben. Das bedeutete doppelten Aufwand für Margaretha, denn sie musste die Mahlzeiten teilen und nach drüben bringen, dort genauso wie hier im Anschluss aufräumenund das Geschirr waschen. Meistens half ihr einer der Brüder, doch der Vater trieb alle mehr und mehr zur Arbeit an, und Margaretha wollte ihnen nicht auch noch die Hausarbeit aufbürden.
»Wenn Vater meint, dass er sich zu Tode arbeiten muss, dann soll er das tun«, sagte Abraham verbittert. »Aber er soll uns nicht auch noch in den Tod treiben. Was er von den Lehrlingen verlangt, ist fast schon unmenschlich.«
»Die Stoffballen wachsen und wachsen.« Hermann hatte sich gewaschen und zog ein frisches Hemd an. Auch er nahm dankend einen Becher mit Wein, setzte sich dann an den Tisch. Es roch köstlich nach Braten und Wurzeln, das frische Brot stand dampfend neben dem Herd. »Und die Flachsvorräte schrumpfen. Wenn das so weitergeht, müssen wir im Januar neuen Flachs kaufen. Aber lange kann das so nicht mehr gehen. Margret, du solltest nachher mal nach dem kleinen Jasper gucken. Seit zwei Tagen hustet er, es wird immer schlimmer. Was Vater uns allen zumutet, ist unmenschlich.«
Abraham warf seiner Schwester einen Blick zu. »Soll sie das jetzt auch noch machen, Hermann? Sich um die Kranken kümmern? Was denn noch? Schau sie dir doch an, wie mager und bleich sie ist.«
»Das ist richtig, aber was sollen wir tun? Mutter schafft es gerade nicht. Wir haben die Verantwortung für die Lehrjungen. Nicht auszudenken, wenn einem von ihnen etwas passiert.« Hermann rieb sich über das Gesicht.
»Margret braucht dringend Hilfe. Sie kann nicht alles alleine machen, sie arbeitet schon viel zu viel.« Abraham lehnte sich vor und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
Hermann schaute ihn an, nickte dann. »Ich werde morgen zum Platenhof reiten. Simon Platen hat drei Töchter. Er ist sicher froh, wenn wir eine zur Anstellung nehmen.«
»Vater wird das nicht gefallen«, wandte Margaretha leise ein. »Er will bis zum nächsten Jahr warten, wegen Mutter.«
»Ich weiß das wohl, Meisje. Aber es kann nicht sein, dassdu dich für uns aufreibst. Wie siehst du es denn? Würde es Mutter schaden?«
Margaretha nahm sich einen Becher Würzwein, wischte sich die Hände an der Schürze ab und setzte sich zu den Brüdern an den Tisch.
»Ich kann Mutter schlecht einschätzen. Wenn Vater meint, dass es sie verstören würde und eine neue Magd eher Unruhe bedeutet, wird er schon seine Gründe dafür haben.« Margaretha seufzte. »Vielleicht hat er ja mit ihr darüber gesprochen.«
»Verdomme! Ich wünschte, er würde mit uns auch darüber sprechen und uns mitteilen, wie es weitergehen soll.«
»In meinem Haus wird nicht geflucht, Sohn!« Isaak hatte, unbemerkt von allen, die Küche betreten. Er zog
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