Die Heilerin
mehr auf, die Gesellen kommen auch herüber. Mir gefällt nicht, dass sie so viel Bier trinken, wenn sie alleine essen. Heute Morgen habe ich schon wieder zwei leere Krüge auf dem Tisch gefunden und einen weiteren unterm Tisch.« Seufzend setzte sich der Vater an den Tisch. Nach und nach kamen die Brüder und die Gesellen dazu.
Gerade als sie das Tischgebet gesprochen hatten, kehrte Gretje zurück. Sie stellte den Korb mit ihren Kräutern undTinkturen neben den Herd, wusch sich die Hände und setzte sich.
»Du kommst spät, Vrouw.« Isaak sah sie besorgt an.
»Lisabeta, die Schwiegertochter von Kunders, erwartet ein Kind. Sie ist noch nicht sehr weit, aber jetzt ist sie krank geworden, und es scheint Komplikationen zu geben.«
»Was hat sie denn?«, fragte Abraham und brach das Brot.
»Ich fürchte, es ist Blutfluss.«
Plötzlich lag Schweigen über dem Raum, nur das Prasseln des Feuers war zu hören und das Knacken im Gebälk.
»Blutfluss, die Ruhr? Gott steh uns bei. Aber das kann doch gar nicht sein. Blutfluss breitet sich doch erst im Armenviertel aus, bevor er diesen Stadtteil erreicht.« Isaak schüttelte den Kopf.
»Möglichweise sind die Armen auch erkrankt. Ich war in den letzten Wochen ja nicht dort und weiß nicht, wie es um die armen Frauen und Kinder steht. Lisabeta war wohl vor ein paar Tagen noch in der Neuen Stadt und hat Suppe und altbackenes Brot verteilt.« Gretje trank einen Schluck Wein. Die Besorgnis war ihr deutlich anzusehen.
»Was hat sie denn gesagt? Hat sie dort Kranke versorgt?«, fragte Margaretha leise.
»Sie hat gar nichts gesagt, Meisje. Sie ist nicht bei Bewusstsein.«
»Godallemachtig. Lasst uns beten, dass es ein Einzelfall bleibt. Nicht auszudenken, wenn die Krankheit um sich greift.« Isaak senkte den Kopf in stiller Andacht, alle folgten seinem Beispiel.
»Amen«, sagte er schließlich leise.
»Ich möchte euch inständig bitte, reinlich zu bleiben. Ich weiß, dass gesagt wird, dass das Wasser dem Körper Kraft entzieht, doch ich glaube nicht daran. Schmutz und Dreck tragen Krankheiten in sich. Trinkt kein Wasser bei anderen, sofern es nicht frisch ist. Manche Familien entleeren die Nachttöpfe im Hof neben ihrem Brunnen.« Gretje sah jeden in der Rundenachdrücklich an. »Und gebt mir Bescheid, sobald einem von euch unwohl ist. Nicht warten, ob es besser wird. Je schneller man gegen Krankheiten vorgeht, desto besser ist es. Und nun lasst uns essen, bevor die Speisen erkalten.«
Alle langten zu, doch die Stimmung blieb nachdenklich und gedrückt.
In dieser Nacht kam Margaretha kaum zur Ruhe. Blutfluss verlief oft tödlich, denn die Kranken konnten weder Speisen noch Flüssigkeit bei sich behalten. Sie sorgte sich um ihre Mutter, die nach dem Essen wieder zu der Kranken gegangen war, hatte Angst um die Familie, fürchtete sich vor der Krankheit, die meist rasch um sich griff und oft zum Tod führte.
Dann dachte sie über Rebecca nach. Ob das Mädchen wohl schlafen konnte in der letzten Nacht, die es zu Hause verbrachte? Welche Gedanken machte Rebecca sich wohl? Wovor fürchtete sie sich am meisten? Würde es ihnen gelingen, das Mädchen in die Familie einzubeziehen?
Als Margaretha das Spülwasser in den Hof gekippt hatte, war der Kater nach draußen gelaufen. Er kehrte auch nicht zurück, als sie ihn mit ein wenig Fleisch zu locken versuchte. Ihr fehlte der warme Tierkörper, das wohlige und beruhigende Schnurren des Tieres. Schließlich stand sie auf, nahm die Kerze und schlich sich nach unten. Im Herd glühte immer noch die Glut. Margaretha öffnete die Tür zum Hof, rief leise nach dem Kater. Der Himmel war sternenklar, und es war bitterkalt. Noch mal lockte sie, und wie ein Schatten huschte der Kater an ihr vorbei ins Haus. Lächelnd verschloss Margaretha die Tür, wollte nach oben gehen, da sah sie Lichtschein aus der Stube. Die Tür war nur angelehnt, sie spähte hinein. Hermann saß am Kamin und starrte sorgenvoll in das Feuer. Erst zögerte sie, dann aber öffnete sie die Tür und trat ein.
»Hermann?«, fragte sie leise. Ihr Bruder zuckte zusammen, schaute erschrocken auf.
»Zusje, was machst du denn hier? Es ist mitten in der Nacht.«
»Das könnte ich dich auch fragen. Hast du Kummer?«
Er zog die Stirn in Falten, nickte dann bedächtig. »Die Zeiten sind nicht einfach. Aber es ist nichts, worüber du dir auch noch den Kopf zerbrechen müsstest. Was machst du überhaupt hier unten?«
Margaretha zog sich den zweiten Sessel vor den Kamin, setzte
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