Die Heilerin
warum. Vielleicht liegt es daran, dass ich krank war, als die Magd kam, dachte sie. Das Mädchen hatte anscheinend schnell Zugang zur Familie gefunden, und das ganz ohne Margarethas Hilfe. Die Jungen schienen sie zu mögen. Aber ob Rebecca ihr wirklich Arbeit abnehmen würde, erschien Margaretha plötzlich fraglich. Sie schalt sich eine dumme Gans und bat Gott um Vergebung für ihre bösen Gedanken. Rebecca war noch keine Woche im Haus, sie konnte sich immer noch entwickeln.
Mittags gingen sie alle gemeinsam zu Selbachs Haus. Wie eine Prozession schien der Zug der mennonitischen Familien zu dem Haus an der Stadtmauer zu ziehen. Jede Familie brachte Speisen und Getränke mit, nach dem langen Gottesdienst würden alle beieinandersitzen und gemeinsam essen.
Es fiel Margaretha schwer, den Worten des Predigers zufolgen. Immer wieder schaute sie auf die andere Seite, dorthin, wo Scheutens saßen. Jan hatte ihr am Eingang zugezwinkert, doch nun hielt er seinen Kopf andächtig gesenkt. Margaretha ertappte sich dabei, dass sie sich nach einem freundlichen Blick von ihm sehnte, und senkte den Kopf, versuchte, die Worte der Predigt zu erfassen. Es wollte ihr nicht gelingen, ständig schweiften ihre Gedanken ab. Endlich wurde der letzte Psalm gesungen. Margaretha versenkte sich in die langgezogenen Verse, sang mit heller, klarer Stimme »Ich steh an deiner Krippen hier.« Endlich hatte sie auch ein Gefühl von Andacht. Sie blieb noch einen Moment sitzen, als alle anderen sich erhoben, bemühte sich darum, das Gefühl aufrechtzuerhalten.
»Nun komm, Margret.« Ihre Mutter stieß sie in die Seite. »Wir müssen die Speisen aufwärmen und auftragen.«
Margaretha stand seufzend auf. Der Gottesdienst hatte über zwei Stunden gedauert, daher waren ihre Füße eingeschlafen, ihre Glieder steif. Sie ging langsam hinter ihrer Mutter und den anderen Frauen her in Richtung Küche. Im Gegensatz zu dem zugigen und kalten Versammlungsraum waberte hier der Dampf, die Luft schien zum Schneiden dicht. Sie zogen ihre Jacken aus, hängten sie über die Garderobe und bereiteten das Essen zu, während die Männer im Nebenraum saßen, Pfeife rauchten und diskutierten.
Margaretha und drei weitere Mädchen wurden nach nebenan geschickt, um den Männern Getränke zu bringen. Vergeblich versuchte sie, in die Nähe von Jan zu kommen. Er saß mit mehreren jungen Männern zusammen und diskutierte lebhaft. Zu der Gruppe gehörten auch Margarethas Brüder.
»Ich finde die Idee der Quäker nicht verkehrt. Ich habe Steven Crisp letztes Jahr in Duisburg gehört. Er hat angekündigt, dass er wiederkommt. Gerne höre ich mir nochmal seine Ansichten an«, sagte Hermann bedächtig.
»Das ist Unsinn. Die Quäker sind nur eine weitere Glaubensabspaltung. Sie sagen nichts Neues. Sie wollen uns nur einfangen«, sagte jemand und schnaubte empört.
»Das ist nicht ganz richtig. Die Quäker haben sich schon Gedanken über die Gottesfurcht gemacht. Sie sagen: Gott ist der Herr und niemand sonst.« Hermann zog ruhig an seiner Pfeife.
»Das sagen wir doch auch, Bruder Hermann. Wo ist der Unterschied?«, fragte Mijnheer Selbach.
»Wenn ich Euch jetzt nun duzen würde, Bruder Jakob, wie würdet Ihr das finden?«
Jakob Selbach räusperte sich. »Ich bin älter als Ihr, und gewisse Regeln sollten in einer Gemeinde gelten.«
»Aber sollten wir denn nicht nur Gott unsere Ehrerbietung erbringen? Sind wir vor ihm nicht alle gleich? Wenn wir nackt und bloß vor Gottes Thron treten, sind wir es. Warum nicht auch auf Erden?«
»Und warum muss man den Hut ziehen vor anderen? Warum muss man jemandem diese Art von Ehrerbietung erbringen außer Gott?«, brachte Abraham hervor. »Nur vor Gott senken und entblößen wir ganz und gar unser Haupt. Aber doch nicht vor anderen, oder doch? Und weshalb?«
»Und damit nicht genug. Wir haben heute über zwei Stunden dem Prediger gelauscht. Er hat uns seine Sicht von Gottes Worten gezeigt. Das ist schön und gut, aber liegt der Glauben nicht in uns? Hat nicht jeder seinen eigenen Glauben?«, fragte Heinrich Janßen. Margaretha kannte ihn, er war ein guter Freund von Hermann. »Wir haben unseren Glauben und können ihn zelebrieren, nur indem wir auf unsere eigene Stimme lauschen, ihr zuhören, unseren Glauben erkennen, das Wort Gottes hören und Gott spüren.« Er klang begeistert, seine Augen leuchteten. Margaretha sah zu Jan. Er saß am Rande der Gruppe, hörte aufmerksam zu. Ihr schenkte er keinen Blick. Enttäuscht ging sie zurück in
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