Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Blasphemie!«
»Bestimmt nicht. Es ist mein Ernst.«
Johannes vom Domhof meldete sich nun zu Wort: »Es stimmt. Ludolf hat dieses Blutwunder selbst hergestellt. Ich habe die nötigen Sachen besorgt, und mein Sohn hat mir genau gezeigt, wie es hergestellt wird.«
Die Gräfin, der Bürgermeister und die Ratsherren hörten aufmerksam zu. So groß ihr bisheriges freudiges Erstaunen eben noch gewesen war, so groß war die plötzliche Ernüchterung. Mit offenen Mündern folgten sie dem Gespräch.
Der junge Mann fuhr fort: »Die Rezeptur stammt aus Italien. Man benötigt Eisenöl, Kalk – entweder zerstoßene Eierschalen oder pulverisierten Marmor –, Salz, Wasser und eine Tierblase. In den letzten beiden Tagen habe ich die Substanz hergestellt. Eigentlich nur wegen Agnes. Dieses vermeintliche Wunder hier vorzuführen, war nicht geplant gewesen.«
Die junge Frau war wie vor den Kopf gestoßen. »Warum wegen mir? Was habe ich damit zu tun?«
»Wir haben uns doch darüber gestritten, ob es Wunder gibt oder nicht.«
»Ja, und?« Hilflos hob sie die Schultern.
»Ich sollte dir beweisen, dass Wunder logisch erklärbar sind. Hier ist der Beweis, dass man Blutwunder aus ganz irdischen Dingen herstellt.«
Agnes wollte etwas sagen, aber sie wusste nicht, was. Sie öffnete den Mund, um diesen Hokuspokus als bösen Schabernack zu entlarven, doch wusste sie nicht, wie sie das anstellen sollte. Das berühmte Blutwunder nur ein Taschenspielertrick? Diese Wallfahrten nur das Trugbild eines einfallsreichen Schwindlers? Was war mit all den Gläubigen, die kamen, um Hilfe und Erlösung zu erlangen? War das alles umsonst? Nur ein Hirngespinst? Wenn die Wunder nicht von Gott stammten, wen hatten die Leute denn dann angebetet?
Ludolf sah, wie seiner geliebten Agnes die Tränen über die Wangen rollten. Diese Bloßstellung hatte sie mehr mitgenommen, als er gedacht hatte. Er ergriff ihre Hände und zog sie an sich. Sie ließ es widerstandslos zu. Ihre ganze Kraft war plötzlich wie weggeblasen. Sie schaute ihn nur an, suchte in seinen Augen nach einer Erklärung. Dabei war gar keine nötig. Ludolf war nicht der Betrüger, es waren diejenigen, die um des eigene Vorteils und Ruhmes willen gläubige Menschen in die Irre führten.
»Es tut mir leid«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Das gehört zu unserer Aufgabe hier.«
Sie nickte, schniefte einmal kurz und wischte sich die Tränen ab. »Wir müssen weitermachen.«
Nun bemerkten die beiden, dass die anderen im Raum sie mit großen Augen ansahen und schwiegen. Jedem war der Schock tief in die Glieder gefahren.
Der Bürgermeister hatte sich als Erster gefangen: »Heißt das, dass unser Blutwunder hier nur fauler Zauber ist?«
Ludolf nickte demonstrativ. »Richtig. So etwas kann man selbst herstellen.«
Prutze wirbelte herum und hatte nach zwei Schritten den Priester am Kragen gepackt. »Bassenberg! Stimmt das?«
Der Gefangene tat keineswegs mehr so anmaßend und unnahbar. Inzwischen hatte der Blick etwas von seinem Stolz eingebüßt. Auch seine Stimme war nicht mehr unerschütterlich, sondern zitterte sogar ein wenig. »Ich hab das so bekommen. Ich könnt nicht wissen, dass es ’ne Fälschung ist.«
Alle musterten ihn abfällig. Keiner glaubte ihm ein Wort mehr.
»Ich bin betrogen worden! Ich bin das Opfer!«
Einige schüttelten ungläubig den Kopf, andere drehten sich einfach von ihm weg. Jetzt noch das Unschuldslamm spielen zu wollen, war wahrlich abgebrüht. Aber viel peinlicher war die Situation für die Vertreter der Bürgerschaft. Wie sollte man nun erklären, dass man allesamt auf einen Schwindel hereingefallen war? Wie würde die Reaktion der enttäuschten Gläubigen aussehen? Gäbe es wieder Unruhe in der Stadt? Die nächsten Tage sollten noch schwierig werden.
Die Reaktion des Domdekans ging in eine andere Richtung. Missmutig murmelte er vor sich hin: »Schade. So ein Wunder wäre das Richtige für Minden gewesen.«
... und Visionen
Agnes trat vor und begann: »Zuerst hatten wir den Herrn von Engern in Verdacht, Kuniberts Mörder zu sein. Alle, mit denen wir gesprochen haben, berichteten von seinem auffälligen Bemühen um Maria. Ja, sogar, dass sie mit ihm zusammen in seiner Kammer schlief.«
Der Bürgermeister unterbrach sie ungeniert: »Das wusste doch schließlich jeder. Es war doch offensichtlich, dass er etwas mit dem Mädchen hatte.«
»Das dachten wir auch. Aber hierbei haben wir ihm unrecht getan. Er hat sie nie unschicklich angerührt.«
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