Die heimliche Braut
sondern Empörung und Zorn.
Das verhieß nichts Gutes für eine Verbindung zwischen der Lady und dem Herrn von Dunkeathe, es sei denn, Lord Chesleigh und seine Tochter erachteten ihn für so überaus würdig, dass sie den kleinen Zwischenfall auf dem Burghof übersehen würden.
In der Mitte des Podiums, direkt vor dem Herrentisch, machte Sir Nicholas Halt. “Meine Lords und Ladys, Ritter und ehrenwerte Herren! Seid mir willkommen auf Dunkeathe! Ich fühle mich geschmeichelt und entzückt zugleich, Euch so zahlreich hier begrüßen zu dürfen.” Er verzog das Gesicht zu einer Miene, die nach Rionas Einschätzung ein Lächeln darstellen sollte. “Insbesondere heiße ich die jungen Damen willkommen. Es sind hier so viele von solcher Schönheit, Anmut und anderen Vorzügen versammelt, dass es mich schier überwältigt.”
Das nahm ihm Riona nicht einen Augenblick ab.
Der Burgherr wandte sich an seinen Vogt, der zur Linken des Podiums stand, ein Wachstäfelchen in der Hand. “Bitte fang an, Robert!”
Der Burgverwalter warf einen Blick auf etwas, das offenbar eine Auflistung darstellte. “Mylord, darf ich vorstellen: der Duke of Ansley und seine Schwester, Lady Elizabeth.”
Ein Mann in mittleren Jahren mit ausladendem Bauch und langer, blauer Robe trat hastig vor, begleitet von einer drallen Lady, die ein Gewand in einem burgunderroten Farbton trug, welches ihrer fülligen Figur wenig schmeichelte. Sir Nicholas verbeugte sich; der Edelmann tat es ihm nach, und auch die Dame erwies dem Burgherrn ihre Reverenz mit einem tiefen Knicks. Gelächelt wurde nicht, und die Kandidatin war sichtlich nervös.
Der Kastellan ging nunmehr dazu über, sämtliche Bewerberinnen samt ihrem Anhang einzeln nacheinander zu präsentieren. Die Dame aus dem Kränzchen, die sich von Lady Joscelind nicht hatte beeindrucken lassen, war Lady Lavinia, die zweite Cousine des Duc von D’Anglevoix, der die längste und krummste Hakennase besaß, die Riona je gesehen hatte. Außerdem wirkte er verstimmt, denn er warf dem Burgvogt sowie dem zuvor vorgestellten Herrn missmutige Blicke zu. Offenkundig war der Herzog der Auffassung, man hätte ihm den Vortritt lassen müssen.
Die rundäugige Lady Priscilla, die als Nächste auftrat, kicherte unablässig, während sie vor Sir Nicholas stand, und als ihr junger Begleiter sie endlich wieder zu ihrem Platz führte, machte er ganz den Eindruck, als hätte er ihr mit Freuden einen Knebel in den Mund gestopft. Der Graf von Eglinburg, der offenbar nur ungern eine Mahlzeit ausließ, eilte dermaßen rasch nach vorn, dass seine Tochter regelrecht rennen musste, um mit ihm Schritt zu halten, denn sie war klein, er hingegen ein Hüne von Gestalt.
Sir George, der mit der Säufernase und dem schwankenden Gang, nuschelte lallend eine Begrüßung und schlug bei seiner Verbeugung beinahe der Länge nach hin. Lady Eloise, seiner weder hübschen noch unscheinbaren Tochter, war die Szene offenbar hochgradig peinlich, während ihr Vater keine Miene verzog.
Lady Isabelle lief hochrot an, als sie vorgestellt wurde, ohne Zweifel nicht allein auf Grund der undurchdringlichen Miene ihres Gastgebers, sondern auch deswegen, weil Sir James, ihr Vormund, ihr auf das Seidengewand trat, als er sie nach vorn geleitete. Der Nächste in der Reihe, Graf D’Ortelieu, schaute drein, als betrachte er die gesamte Prozedur als unter seiner Würde, während seine Tochter Lady Catherine so weiß wurde wie ihr Kleid und den Eindruck erweckte, als werde sie jeden Augenblick in Ohnmacht fallen.
Allem Anschein nach erkannte niemand in Sir Nicholas den Mann vom Burghof wieder.
Nun rief Robert Martleby Lord Chesleigh und seine schöne Tochter auf. Mit überheblicher Miene geleitete der hohe Herr die junge Lady nach vorn. Für einen Augenblick dachte Riona schon, er werde seinen Gastgeber rügen. Stattdessen aber verneigte er sich und sprach in herzlichem, nur leicht vorwurfsvollem Ton: “Mylord, es ist mir eine große Freude. Aber Ihr hättet Euch im Burghof erklären sollen!”
Das sorgte für einige Unruhe unter den übrigen Gästen.
“Er war im Hofe?”, raunte Onkel Fergus vernehmlich. “Wo denn? Ich habe ihn nicht gesehen!”
Vielleicht, so Riona, hatte ihr Onkel Sir Nicholas doch nicht kennen gelernt! “Bei den Stallungen! Er war nicht wie ein Burgherr gekleidet.”
Fergus lachte sich eins ins Fäustchen. “Pfiffiger Bursche, die Ladys erst einmal zu taxieren, ehe sie wussten, wer er ist! So kann er gucken, wie sie wirklich
Weitere Kostenlose Bücher