Die heimliche Lust
Ehebruch sei »ein höchst konventioneller Weg, um sich über die Konventionen hinwegzusetzen«. Sicherlich ist der Ehebruch ebensosehr eine Institution wie die Ehe selbst, mit seinen eigenen Regeln und seiner eigenen Geschichte. Männer, für die außereheliche Beziehungen immer etwas Alltägliches waren, haben für sich selbst Schlupflöcher in das Ehesystem eingebaut; für sie stellt Ehebruch keinen Verstoß gegen die guten Sitten dar. Für Frauen ist es jedoch alles andere als konventionell, diese eine Regel zu brechen, die seit so langer Zeit so bedingungslos gegolten hat und die eine solche Strafe garantiert, wie sie Anna oder Emma oder Tess oder Hester und viele andere dieser unwiderstehlichen, leidenschaftlichen Heldinnen über sich haben ergehen lassen müssen, die wir geliebt und verloren haben.
Ehebruch ist also für Frauen ein ziemlich revolutionärer Weg, sich über die Konventionen hinwegzusetzen — falls sie ihn überleben. Das — stets absolut geltende — Ehebruchverbot ist nach wie vor in Kraft, und für Frauen steht immer noch viel auf dem Spiel. Das können Legionen einst ehebrechender und jetzt geschiedener Frauen, deren Lebensstandard drastisch gesenkt wurde, bezeugen. Während sich die Regeln für das voreheliche Sexualverhalten sehr gelockert haben, ist das Verbot von außerehelichem Sex ebenso rigide wie in den Tagen Anna Kareninas — obwohl wir wissen, daß sich viele Frauen nicht daran halten. »Erfolgreicher« Ehebruch, und damit meine ich eine Liebesbeziehung, die ungeachtet ihres Ausgangs das Leben einer Frau bereichert, ist ein Oxymoron — die zwei Worte sind so antithetisch, die Idee ist so ketzerisch, daß sie unvorstellbar klingt.
In dem einzigen Lebensentwurf, der für Frauen existiert — abwechselnd als Ehe-, Romantik- oder Erotikskript bezeichnet — , ist der Star Mr. Einzig-Richtig. Die Frau in der Geschichte, ob Dornröschen oder die Prinzessin von Wales oder Lieschen Müller, wird von Mr. Einzig-Richtig erwählt und irgendwohin entführt, wo sie beide fortan »bis an ihr Lebensende« glücklich sind. Es ist eine Geschichte mit einem ungeheuren Sog, wie wir alle wissen; sie bewirkt, daß Frauen glauben — viele tun das auch heute noch in einem Winkel ihres Herzens — , wirklich bis an ihr Lebensende glücklich zu sein, wenn sie nur erst den »Richtigen« gefunden, sich in ihn verliebt und ihn geheiratet haben. Wenn wir uns die Geschichte unseres Lebens vorstellen, können wir kaum anders, als sie in Einklang mit den Mustern jener Mythen zu entwerfen, die wir bereits kennen, die man uns erzählt hat und die wir in uns tragen. Wie Kinder darum betteln, daß man ihnen immer wieder dieselben Gute Nacht-Geschichten erzählt, so sehnen wir uns nach einem verläßlichen und beruhigend-vertrauten Ausgang der Geschichte, inszenieren ihn offenbar immer wieder neu. »Der Mythos und seine kleine Schwester, das Märchen, formen Geschichten aus all jenem, von dem wir nicht wissen, daß wir es wissen«, schreibt die Romanautorin Lore Segal. »Sie pflegen vertrauten Umgang mit unseren Wünschen und Alpträumen...«
Wenn wir das Romantik-Thema näher betrachten, werden wir merken, daß nach dem Szenenwechsel von der Brautzeit zur Ehe nur die Geschichte von Mr. Einzig-Richtig weitergeht, nicht aber die unserer Heldin. Nachdem sie ihr implizites Ziel, Ehefrau zu werden, erreicht hat, ist ihre Geschichte zu Ende. Sobald sie sich in dem kleinen weißen Häuschen eingerichtet hatte, von dem Augenblick an, in dem sie Ehefrau geworden war, »starb die junge Frau als Subjekt, hörte als handelnde Figur auf, zu existieren«, wie Carolyn Heilbrun in Writing a Woman’s life ausführt; sie verschmachtet auf den Seiten ihres Lebensromans ohne Stimme, kaum noch eine Heldin zu nennen, in eine Fabel verbannt, die keine entscheidende Entwicklung mehr zuläßt. Diese nirgendwo hinführende Geschichte ist dennoch das einzige Drehbuch, das für das Leben einer Frau geschrieben wurde, genauso wie das immerwährende Glück (das heißt, die monogame Ehe) das einzige ist, was ihren Erfolg als Frau in dieser Gesellschaft gewährleistet. Moderne Frauen, die sich dessen bewußt sind, fühlen sich durch die Verlockung und die Gefahr dieses romantischen Drehbuchs hin- und hergerissen.
Wenn uns auch Mythos und Literatur prägen, so ist doch heute die Popkultur bestimmend — und der Film, ihr populärstes Medium, liefert uns diejenigen romantischen Schlüsse, die am deutlichsten unsere gegenwärtigen moralischen
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