Die heimliche Lust
nur zu oft das Sorgerecht für ihre Kinder oder ihren eigenen Unterhalt kosten. Es gibt bloß eine Handvoll von Romanen, in denen die ehebrechende Heldin nach einer leidenschaftlichen Affäre nicht entweder ruiniert oder unzufrieden zurückbleibt. 1
Die Bestrafung geht weiter, in der Literatur wie im Leben. Die Heldin in Jane Smileys Novelle Ordinary Love (1989), Rachel Kinsella, gesteht ihre Affäre mit ihrem Nachbarn, und ihr Mann reagiert, indem er sie erst mal zu Boden schlägt und sie umzubringen droht, falls sie das gemeinsame Haus nicht am nächsten Morgen verlasse. Dann schlägt er sie nochmal zusammen, entführt ihre fünf gemeinsamen Kinder und übersiedelt mit ihnen nach England, ohne den geringsten Hinweis auf ihren Aufenthaltsort zu hinterlassen. Sobald ihr Geliebter erfährt, daß sie die Beziehung zu ihm gestanden hat, lehnt er es ab, sie wiederzusehen oder je wieder mit ihr zu sprechen. Frappierend deutlich wird hier die Korrelation zwischen Sex und Schweigen, denn sowohl ihr Ehemann als auch ihr Liebhaber löschen Rachel aus, verbannen sie aus ihrem Leben, reduzieren sie zur Unperson. Beide lassen sie total fallen — ihr Mann, weil sie fremdgegangen war, ihr Liebhaber, weil sie darüber gesprochen hatte.
In allen Kulturen, die Untreue verurteilen, wird die der Frauen heftiger verurteilt; da, wo Untreue bestraft wird, werden Frauen härter bestraft. Die Anthropologin Suzanne Frayser hat Untreue in 62 vergangenen und gegenwärtigen Kulturen untersucht und festgestellt, daß in drei Viertel dieser Gesellschaften Ehebruch für Frauen oder für beide Geschlechter verboten war bzw. ist. In denjenigen, die Ehebruch gestatteten, war er in keinem einzigen Fall allein den Frauen gestattet. In 26 Prozent von 58 Kulturen ist dem Ehemann dagegen außerehelicher Sex gestattet, nicht aber der Ehefrau. Und von 48 Gesellschaften räumten 26 — mehr als die Hälfte — dem Ehemann das Recht ein, seine untreue Frau zu töten. Befremdet durch die Tatsache, daß verbotener Geschlechtsverkehr — sprich außerehelicher Sex — in diesen Gesellschaften als Scheidungsgrund der Männer erst an dritter Stelle rangierte, zieht Frayser die Schlußfolgerung: »Mir wurde klar, daß Untreue in vielen Fällen deshalb gar nicht vor Gericht kommt, weil die Ehefrau getötet wurde.«
Manche Gesellschaften umschiffen die Frage der Gerechtigkeit einfach, indem sie »Ehebruch« für jedes Geschlecht anders definieren: Nach hebräischem Recht — wie es noch in der Bibel steht, aber von Kultur zu Kultur variiert — machte sich eine verheiratete Frau des Ehebruchs schuldig, wenn sie mit irgendeinem Mann außer dem eigenen geschlechtlich verkehrte; ein verheirateter Mann dagegen galt als Ehebrecher nur dann, wenn er mit der Frau eines anderen Mannes schlief. (Er wurde faktisch weder für die »Außerehelichkeit« noch für den »Sex« als solchen bestraft, sondern für das unbefugte Betreten des Territoriums eines anderen Mannes, für die Mißachtung von Besitzrechten.)
Je nach der Kultur wird die Ehebrecherin mit einem Schürhaken gebrandmarkt, ihre Beine werden von einer Lanze durchbohrt, man überläßt sie anderen Männern der Gemeinschaft, die mit ihr schlafen möchten — oder sie wird getötet, wie zum Beispiel bei den Senufos und Bambaras in Westafrika. Auch nach moslemischem Recht darf ein Mann ohne weiteres seine Frau ermorden, wenn er entdeckt, daß sie außerehelichen Geschlechtsverkehr hat. Im heutigen Saudi-Arabien wird sie gesteinigt. In Teilen von Mexiko schneidet man ihr eventuell Nase und Ohren ab — bevor man sie steinigt.
Weibliche Sexualität ist so eng mit Bestrafung verknüpft, daß das Schicksal der Frauen immer davon betroffen ist, gleich ob sie sich innerhalb oder außerhalb der geheiligten Institution Ehe befinden. So gesteht man auch Anna, der Heldin von Sue Millers The Good Mother, nach ihrer Scheidung keine neue Liebesbeziehung zu, obwohl sich ihr früherer Mann in einer neuen Ehe eingerichtet hat — weil sie Mutter eines Kindes ist. Auch der vom Gericht bestellten Psychologin, die sie als gute Mutter einschätzt, weil sie eine gute Beziehung zu ihrer Tochter habe, gelingt es nicht, das Stigma der Sexualität zu entkräften und das Gericht zu überzeugen. Eine sexuell aktive Frau hat, mit anderen Worten, einen verderblichen Einfluß auf ihr Kind und verdient nicht, dieses zu behalten. Eine sexuell aktive Frau ist keine gute Mutter.
Das Romantik-Skript
Nabokov hat einmal über Madame Bovary gesagt,
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