Die heimliche Päpstin
überfallen, Männer, die aus vollem Galopp ihre Pfeile abschossen und auch noch trafen, Männer, die Brandfackeln warfen und sich die Frauen auf die Pferde holten, um sie im Reiten zu mißbrauchen.
Die Stimmung in der Stadt kochte, je mehr sich die Berichte der Flüchtlinge verbreiteten und je ausgeklügelter die Grausamkeiten der Ungarn geschildert wurden. Das Eigenartige war, daß die Truppen des Pietro vom Erdboden verschwunden waren. Sie mußten sich feige davongestohlen haben.
Aber warum?
Es wurde heftig vor den Tavernen diskutiert. Weil sie selbst die Ungarn gerufen hatten, um die Stadt endgültig in ihre Hand zu bekommen? Ja, so mußte es gewesen sein, sie waren die geheimen Helfer der Ungarn! Aber warum waren sie dann verschwunden? Auf jeden Fall hatte man sie daran hindern können, den Abgesandten des Teufels die Tore zu öffnen, diesen ungläubigen Höllentieren mit ihren schrägäugigen Wolfsfressen, die die Frauen von vorne und von hinten gleichzeitig aufspießten, die sich sogar daran ergötzten, ihre Pferde über sie steigen zu lassen.
Papst Johannes trat auf den Balkon des Patriarchums und sprach zu den Menschen, er sprach vom Balkon der Petersbasilika, er versprach ein heiliges Hochamt für alle Römer in und um die Basilika im Lateran, bei dem er sie von allen Sünden freisprechen wolle, damit sie todesmutig in den Kampf gegen die ungläubigen Feinde zögen.
Alle angesehenen Familien der Stadt wurden zur Messe eingeladen, auch die Mitglieder des Hauses Theophylactus. Diaconus Giovanni dürfe dem Papst assistieren, hieß es, und mit Marozia, seiner lieben Tochter, wolle der Heilige Vater, so ließ er von primicerius Benedictus ausrichten, Frieden in Christo schließen. Gemeinsam müsse man den Feind abwehren, und gemeinsam müsse man die Zukunft Roms gestalten.
Marozia vermutete eine Falle und war nicht sicher, ob sie der Einladung Folge leisten solle. Auch Alberico wollte sich auf keine Worte, sondern allein auf sein Schwert verlassen. Ich befürchtete ebenfalls die Möglichkeit eines heimtückischen Überfalls und riet Marozia und Alberico ab, an der Messe teilzunehmen. Crescentius wurde unsicher, seine Gemahlin Theodora dagegen bestand darauf, daß zumindest sie die Familie vertreten müsse. Neben ihren drei Töchtern nehme sie noch Berta in ihre Obhut. Es gebe schließlich Giovanni, vor dessen Augen niemand wagen würde, eine Freveltat gegen irgendeine Frau der Familie zu begehen. Weil Theodora sich so mutig zeigte, konnte Crescentius nicht zurückstehen und beschloß, als Beschützer seiner Familie mitzugehen. Auch ich hatte von Anfang an keinen Zweifel gelassen, diese Messe zu besuchen.
Als wir aufbrechen wollten, erreichte uns durch einen Boten, der sich über ein Aquädukt in die Stadt geschlichen hatte, die Nachricht, Markgraf Wido habe die Ungarn erfolgreich geschlagen und aus Tuszien verjagt. Allerdings könne es möglich sein, daß ein Teil der beutegierigen Fremden nach Süden gezogen sei. Er würde ihnen auf jeden Fall mit seinem Heer folgen und die Stadt, falls sie bedroht sei, von dieser Plage befreien.
Als Marozia dies hörte, schrie sie vor Triumph auf. Nun gab es kein ängstliches Wegducken und Sich-Verbarrikadieren mehr: Sie würde in die Lateranbasilika gehen, sich direkt vor den Altar setzen, und der Papst müsse ihr in die Augen schauen. »Und während seiner Predigt werde ich mich erheben und ganz Rom mitteilen, wer der Verräter ist und wer die Stadt rettet. Und dann wollen wir sehen, was geschieht!«
57
Bereits lange vor Beginn des Hochamts, das am Abend stattfinden sollte, fanden sich die Menschen in und vor San Giovanni ein. Ein neu ernannter superista versuchte mit seiner Palasttruppe, die Menschen vom Drängeln und Vordrängen abzuhalten; insbesondere die vorderen Reihen der Basilika waren für die vornehmen Familien reserviert, während im Altar- und Chorbereich der hohe Klerus saß.
Ich hatte vor der Messe nicht mehr mit Marozia unter vier Augen sprechen können und wußte nicht, ob sie ihren spontan geäußerten Plan aufgegeben hatte, während des Hochamts ihre Anklage gegen Pietro und den Papst zu schleudern. Auf jeden Fall ließ sie sich sorgfältig das Haar flechten und durch ein dunkles Kopftuch verdecken, kleidete sich in eine einfache schwarze Tunika, ließ sich einen glockenförmigen Umhang aus Wollstoff umhängen und warf sich schließlich eine ebenfalls schwarze Stola über die Schultern. Das einzig Auffallende an ihr war ein schweres Kreuz auf
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