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Die heimliche Päpstin

Die heimliche Päpstin

Titel: Die heimliche Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Berger
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türmten. Zuoberst lag Pietro – oder das, was von ihm übriggeblieben war.
    58
    Die Kerzenstummel neben dem Pergament flackern, die ersten Hähne schreien. Das Morgenlicht taucht den Park vor meinem Fenster in ein geisterhaftes Licht, aus dem sich die Zypressen wie stumme Wächter meines bedrohten und geretteten, grausamen wie guten Lebens schälen.
    Der Schlaf hat mich während der dunklen Stunden gemieden. Zu bange erwarte ich die Ankunft meines Sohnes, zu düster klingt das Mordgeheul nach – obwohl es für uns zugleich ein Triumphgeschrei war. Morde treten indes selten vereinzelt auf, meist zieht der eine einen anderen nach sich, und dieser hinwiederum weitere. Es ist der Fluch des Herrn in den Stunden des Zorns.
    Die Sonne hat sich über dem Osten der Stadt erhoben und taucht den Park in ein Bernsteinlicht mit langen Schatten; der Himmel färbt sich blaßblau. Tauben gurren aus ihrem Turm, der sich unweit von hier erhebt, und ein Falke sitzt auf einem Baumwipfel, aufmerksam und bereit, sich auf ein Opfer zu stürzen. Er flüchtet, als ein häßliches Krähengekrächze sich nähert und ein Schwarm schwarzer Aasvögel über uns durch die Lüfte taumelt.
    Auch der Palast ist mittlerweile erwacht. Ich höre Pferde wiehern und Knechte rufen, Kupfergeschirr klappert, und eine sanfte Brise streicht über meine Haut. Zum Glück weht hier oben auf dem Aventin meist ein schwacher Wind, selten hat uns der mephitische Gestank belästigt, wie er häufig auf den tibernahen, niederen Vierteln lastet. Und nun, am ersten Morgen in süßer Freiheit, im seligen Licht außerhalb der Hadriansgruft, dringt ein Fliederduft zu mir, den ich trotz der fast stumpf gewordenen Nase rieche wie das Versprechen wehmutsvoller Liebe.
    Nachdem ich mich gewaschen und gekämmt hatte, wurde ich gerufen. Ich zupfte Tunika und Stola zurecht und begab mich zum Palast, in dem ich Alexandros wiedersehen sollte. Mein Herz klopfte, und noch während ich unserer alten Köchin zuwinkte, erwachte in mir die Befürchtung, der Mann, der mich erwartete, könnte ein Fremder sein. Das Bewußtsein, daß ich Alexandros fast dreißig Jahre nicht gesehen hatte, drückte mir die Kehle zu.
    Beklommen betrat ich das Hauptgebäude und begab mich zum Triclinium.
    Da standen sie, zwei Männer: ein lächelnder Alberico und neben ihm … neben ihm stand – ich spürte regelrecht, wie ich erblaßte –, neben ihm stand Sergius.
    Ein Toter.
    Stand mein Sohn.
    Alexandros. Noch immer schlank, mit dunklen, leicht angegrauten Haaren – und doch in der Haltung seines Vaters.
    Er hatte mir nicht entgegengesehen, vermutlich, weil auch er die Begegnung ebenso fürchtete wie herbeisehnte. Nun drehte er sich um, ging mir einen Schritt entgegen. Ich sah, wie er die Arme ausstrecken wollte, dann jedoch zurückzuckte. Ich sah sogar ein Erschrecken in seinen Augen aufglimmen, in seinen braunen, leicht verschatteten Augen, die er von seinem Vater geerbt hatte. Um das Erschrecken zu verbergen, lächelte er. Es war Sergius' Lächeln.
    Ich schlug die Augen nieder, stolperte vorwärts, weil der Boden unter mir zu wanken schien, und er fing mich auf.
    Da traf mich ein zweiter Schlag. Vielleicht hatte der Anblick seiner byzantinischen Seidentunika und des schweren Brokatmantels diesen Schlag bereits vorbereitet, doch nun, während seine Arme mich stützten, traf mich, umhüllte, ja überschwemmte mich ein Geruch, in dem meine Eltern, meine Heimat, Konstantinopel lebendig wurden: der Duft von Goldorangen und Limonen. Ich war unversehens wieder ein Kind, und mir schwindelte, so daß ich befürchtete, ohnmächtig zu werden.
    Alberico stürzte besorgt hinzu, führte mich zu einer der Liegen und bot mir einen Becher Wein an. Ich nahm ihn, und während ich trank, spähte ich zu Alexandros hinüber, der ebenfalls Platz genommen hatte und mich mit einem wehmütigen, ja, traurigen Lächeln beobachtete. Bisher hatte er noch kein Wort geäußert.
    Fast dreißig Jahre hatte ich mich nach meinem Sohn verzehrt. Ich hielt sogar im tiefsten Kerker mit Gleichmut und Seelenruhe aus, weil ich im noch tieferen Inneren meines Herzens wußte, ich würde ihn dereinst wiedersehen, und zwar in dieser, nicht erst in der jenseitigen Welt. Alexandros war das Ziel allen Hoffens, das Zentrum der Liebe und der Kern des Glaubens.
    Und dann sagte ich: »Seit deinem Verschwinden habe ich nichts mehr von dir gehört.«
    Ein Satz, der den gähnenden Abgrund der so ewig währenden Trennung überbrücken sollte. Keine Worte

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