Die heimliche Päpstin
Alberico leise, ohne auf meine beschwörenden Worte einzugehen.
»Deine Mutter sollte deinen Vater heiraten. Sie liebte aber Alexandros, und er liebte sie. Als er beiseite geschafft werden sollte, sorgte ich dafür, daß er rechtzeitig floh. Seitdem …« Mir versagte die Stimme.
»Wer ist eigentlich sein Vater?«
Alberico mußte seine Frage wiederholen, bis ich ihre Bedeutung für ihn einzuschätzen vermochte. Sagte ich die Wahrheit, erfuhr er, daß Sergius nicht nur seinen Bruder, sondern auch Alexandros gezeugt hatte – sie mußte in ihm die soeben vernarbte Wunde wieder aufreißen. Fieberhaft überlegte ich, ob ich Yussuf nennen sollte …
»Doch nicht etwa Großvater?«
»Nein, nein!« O Gott, auf welche Gedanken der Junge kam!
»Es ist seltsam, aber dieser Alexandros erinnert mich, obwohl sie sich gar nicht ähnlich sehen … an Giovanni.« Er schaute mich verwirrt an. »Aber das kann doch nicht sein …?«
Was gab es noch zu leugnen und zu lügen!
»Doch, es ist wahr«, flüsterte ich. »Sie sind Halbbrüder. Alexandros' Vater war Papst Sergius. Er hat mich einem Sarazenen abgekauft.«
Ich fühlte mich sterbenselend. Alberico war bleich geworden, und sein Blick schien sich nach innen zu richten. Seine Hand wollte sich von meiner zurückziehen, doch ich hielt sie fest.
Stimmlos sagte er: »Meine Mutter – und dein Sohn, Papst Sergius, mein Vater, Angelo, Onkel Wido und schließlich dieser hochnäsige, dieser grausame Provencale … Ich kann es nicht fassen.« Bitter fügte er an: »Da konnte für uns Kinder keine Liebe übrigbleiben.«
Vielleicht hatte er etwas Richtiges erkannt. Dennoch stellte ich ihm die Frage: »Hast du eine Frau jemals richtig geliebt?«
»Früher liebte ich meine Mutter. Und dich. Und Großmutter.«
»Ich meine die andere Liebe zu Frauen, verstehst du, das Sehnen und Begehren, das Hingezogenfühlen, die Verwirrungen, die Ängste, das Kribbeln im Bauch, den Drang der Wollust, ja, vor allem diesen Drang, dem du nicht widerstehen kannst …«
Er schüttelte den Kopf.
»Vielleicht kannst du deswegen deine Mutter nicht verstehen.«
Als hätte er mir nicht zugehört, flüsterte er: »Für sie gibt es nur einen Ort: das Kloster!« Er fügte fast unverständlich an. »Ich habe Angst vor der Liebe.«
Ich preßte seine Hand an mein Herz. »Auch wenn du Angst hast: Ich weiß, daß du deine Mutter liebst. So wie sie dich geliebt hat.«
Er schaute mich an, als würde ich gar nichts verstehen.
Und doch, natürlich, ich verstand ihn zu gut.
59
Die Begegnung mit den beiden Männern ließ mich hilflos zurück. Vielleicht hätte ich Alexandros um einen Aufschub, eine Bedenkzeit bitten, hätte um die Möglichkeit eines Besuchs im Kerker kämpfen sollen. Und warum gelang es mir nicht, mit Alberico über seine Mutter zu sprechen, über seine Liebe zu ihr und die Angst vor ihr, über seine Herrschaft in Rom und die Gefahr durch König Hugo?
Bei ihm wußte man nie, wann er sich verschloß und wann er bereit war, Gutmeinenden zuzuhören. Konnte Alberico, der sich als princeps romanorum jetzt offenkundig wie sein Vater Alberich nannte, etwas Besseres geschehen, als daß seine Mutter das Land verließ? König Hugo fände keinen Grund mehr, sie befreien zu wollen – und Befreiung hätte immer einen Angriff auf Rom bedeutet.
Was er wünschte, hatte Alberico erreicht: Er war als Sieger aus diesem tragischen Streit hervorgegangen – warum jetzt noch Rache? Warum seine Mutter dem Verderben preisgeben?
Ich wanderte eine Weile durch den Park, betrachtete die drei Säulenstümpfe und verlor mich in das sprießende Hoffnungsgrün, in die blühenden Frühlingstupfer. Manche Vögel ließen sich nicht stören, ihr Nestmaterial zu suchen, andere waren dabei, um ihre Partner zu werben und Nebenbuhler zu vertreiben. In der Ferne häßliches Krähengekrächze, und in der Höhe zogen die Geier ihre Runden.
Langsam zog ich mich in meine Gartenklause zurück, die mir für die Tage in Freiheit zugestanden worden war, setzte mich an das geöffnete Fenster und schrieb nieder, was ich von unseren Gesprächen noch erinnere.
Tatsächlich bin ich ruhiger geworden. Ich habe mich entschieden – dafür, daß ich Wort halte und Marozia treu bleibe. Wenn Alexandros und Alberico auf ihren Entschlüssen beharren, dann müssen wir alles Weitere dem Barmherzigen überlassen.
Morgen früh wird über unser Schicksal verfügt. Bis dahin bleibt mir Zeit, meinen Bericht über Marozia zu beenden. Im
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