Die heimliche Päpstin
nicht mehr an deine Verse? Wer Marozia angeschaut mit Augen, ist der Sehnsucht schon anheimgegeben, wen der Pfeil der Schönen je getroffen, ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe.«
Alexandros schlug die Augen nieder, als schäme er sich für die Worte, die er damals gefunden hatte, murmelte: »Alles, was mir Princeps Alberich über seine Mutter berichtete und was man sich in Rom über sie erzählt, und zwar in jeder Taverne bis hin zur päpstlichen Kanzlei, hat die Sehnsucht geschmälert und den Schmerz gelindert. Ich …« Er unterbrach sich mit einer Geste der Hilflosigkeit.
Alberico sprang ihm zur Seite: »Meine Mutter soll auch mal erleben, daß man allein gelassen wird.« Er sprach lauter als nötig und klang, als müßte er sich zu einer einmal gefällten Entscheidung zwingen; seine Stimme zitterte sogar.
Da brach meine Beherrschung zusammen.
»Ich kann nicht!« schrie ich. »Ich gab ihr mein heiliges Wort, das ich nicht brechen darf, das ich nicht brechen will. Marozia ist mein Milchkind, stand meinem Herzen so nah wie du« – ich schaute Alexandros flehend an –, »sie hat erbärmlich gelitten und hätte sich beinahe zu Tode gehungert. Nie mehr wird sie irgendeinen Herrschaftsanspruch erheben, sie ist eine gebrochene Frau.«
Erneut richtete ich meine Worte an Alberico. »Wenn ich sie mit nach Konstantinopel nehme, wird sie für ewig aus Rom verschwunden sein – du hast deine Rache …«
Das Wort Rache ließ Albericos Miene hart werden: »Und wenn sie den byzantinischen Kaiser gegen mich aufwiegelt? Nicht ich bin rachsüchtig, sondern sie!«
Hilfesuchend wandte ich mich an Alexandros: »Bitte du ihn um ihre Freilassung. Sie wird sich mit der kleinsten Hütte zufriedengeben, sucht nur noch den Schimmer einer letzten friedlichen Stunde.«
Alexandros fuhr sich verlegen durch die Haare. Als ich ihn beschwörend ansah, zwang er seine Hände hinter den Rücken und erwiderte mit unbewegter Miene meinen Blick.
Warum quälten mich die beiden nur so wie unbarmherzige Pharisäer? Warum ließen sie mich wie gegen eine Wand reden? Warum zeigten sie kein Erbarmen?
»Weißt du eigentlich, daß Marozia jede Nacht von dir geträumt hat? Daß du ihre erste und wirkliche und tiefste Liebe warst?«
Noch während dieser Satz aus mir herausbrach, wußte ich, daß ich ihn nicht hätte sagen sollen. Vermutlich empfand Alexandros ihn als verlogen und zugleich bedrohlich. Auch Alberico mußte seine Mutter noch hurenhafter erscheinen.
Dadurch, daß Alexandros weiterhin seine Hände hinter dem Rücken verschränkt hielt, wirkte seine Haltung ein wenig gebeugt, als wäre er ein alter, vom Schicksal geschlagener Mann und nicht mein junger, strahlender, hoffnungsvoller Sohn. Wieder erinnerte er mich derart an Sergius, daß ich hätte schreien mögen.
»Sie war ebenfalls meine erste Liebe, eine wahnsinnige zudem«, antwortete er, ohne daß das Wahnsinnige als fernes Echo nachhallte.
»Liebst du sie denn gar nicht mehr?«
Auch diese Frage war unangebracht.
»Ich bin glücklich verheiratet mit einer Frau, die mir vier Kinder geschenkt hat.« Es sollte gefühlvoll klingen, doch es klang knapp und abweisend. »Wir können nicht … wir brauchen Zeit … Mein Leben …« Stammelnd brach er ab und öffnete endlich die Klammer seiner Hände, strich über seinen Umhang, als müsse er ihn glätten. »Morgen komme ich wieder, wenn Princeps Alberich es mir erlaubt. Bis dahin … Ich … ich beschwöre dich, mit mir in unsere Heimat zurückzukehren.«
Alexandros verneigte sich vor Alberico und eilte aus dem Raum.
Schluchzend sank ich nieder.
Wo war die kluge, beherrschte Aglaia geblieben? So alt, wie ich geworden war, so ungeschickt und hilflos hatte ich mich verhalten, so bedroht und zurückgestoßen hatte ich mich aber auch gefühlt, als ich – nach fast dreißig Jahren – Alexandros in der Erscheinung des Mannes vor mir stehen sah, der mich und mein ungeborenes Kind hatte umbringen lassen wollen. Wo hatte sich mein stiller, nachdenklicher, einfühlsamer Alexandros versteckt?
Vor lauter Schluchzen merkte ich nicht, daß Alberico sich neben mich setzte. Erst als er meine Hand ergriff, wie er es als Kind getan hatte, sah ich ihn im verschwommenen Fluß der Tränen. »Ich kann es nicht!« stieß ich aus. »Ich werde sie nicht allein lassen! Es ist, als würde ich mein Kind dem sicheren Tod preisgeben. Das mußt du doch verstehen!«
»Warum hat Alexandros denn Mama verlassen, wenn sie sich so liebten?« fragte
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