Die heimliche Päpstin
Sinn mehr in sinnlosen Opfergängen und setzte sich heimlich mit ihrem Kaisersohn und den Spoletanern aus Rom ab, ebenso die Tuszier, so daß den Römern nichts anderes übrigblieb, als sich schleunigst zu ergeben und dem Teutonen zuzujubeln.
Theophylactus war an diesem Abend in unserem Haus ebensowenig zu sehen wie Sergius und Alberich, der blonde Langobarde. Theodora befahl, die Eingänge mit allem, was zur Verfügung stehe, zu verbarrikadieren. Es wurde gebetet und vor Angst geschwitzt, obwohl es Ende Februar war und reichlich kühl. Ich nahm die Kinder unter meine Fittiche und erzählte ihnen die spannenden Geschichten vom trojanischen Krieg, denen sie immer gerne lauschten. Alexandros wollte von Telemachs Suche nach seinem Vater und der Heimkehr des Odysseus hören, während Marozia die Geschichte von Helenas Entführung liebte, sich aber auch gern vom trojanischen Pferd und der anschließenden Eroberung Ilions erzählen ließ.
Auf der Straße herrschte ungewöhnliche Ruhe, regelrecht Grabesstille. Jeder erwartete den Sturm der Barbaren – doch nichts geschah, als die Nacht voranschritt, nicht einmal roter Lichtschein erhellte das andere Tiberufer.
Erstaunlicherweise war ich an diesem Februarabend kühl und ruhig geblieben. Auch ich als Sklavin wäre in den Eroberungsstrudel hineingezogen worden, das wußte ich, ein erneutes Schicksal wie auf unserem Schiff hätte mir gedroht, und zudem schwebten unsere Kinder in Lebensgefahr. Dennoch verspürte ich keine Furcht. Warum, weiß ich nicht. Mein Gottvertrauen war nicht stark ausgeprägt, so daß ich zwar mit der gesamten familia Stoßgebete gen Himmel sandte, aber insgeheim nach Worten der deutschen Dialekte suchte, mit denen ich die Soldaten hätte empfangen können. Leider hatte mich Euthymides keine gelehrt, und in unserem Haus verkehrten weder sächsische Pilger noch alemannische Mönche, weder bairische Händler noch fränkische Grafen.
Als Theophylactus auftauchte, befahl ihm Theodora, sofort seine Waffen abzulegen, sich eine Senatorentoga aus uralten Zeiten überzuwerfen und zu König Arnulf zu eilen. »Verbeuge dich vor ihm in stolzer Ergebenheit und schwöre ihm ewige Treue. Die Deutschen sollen, so hat man mir gesagt, viel von Treue halten. Also rede ihnen nach dem Mund.«
»Verstehen sie überhaupt unsere römische Sprache?«
»Irgendeiner wird schon Latein sprechen.«
»Aber ich beherrsche es nur unzulänglich. Dann muß Sergius das Wort führen.«
»Sergius? Bist du verrückt? Dem schneiden sie sofort die Kehle durch. Dafür wird Formosus schon sorgen.«
»Und was ist mit mir?«
»Tu so, als seist du immer sein heimlicher Anhänger gewesen, was weiß ich, laß dir was einfallen, nur geh jetzt!«
Theophylactus umarmte sie theatralisch, dann seine Kinder. »Wenn ich nicht mehr zurückkehre, gedenkt meiner in Liebe«, rief er mit bebender Stimme und schlug mit einer großen Geste die Toga über die Schulter.
»Fordere am besten den Papst auf, König Arnulf unverzüglich zum Kaiser zu krönen. Natürlich muß dieser Arnulf dabei sein und dich verstehen. Und schicke ihn nach der Krönung den Spoletanern hinterher, teile ihm mit, sie seien heimtückisch und müßten aufgerieben werden, weil sie ihm sonst in den Rücken fielen …«
»Ja, ja!« Theophylactus streckte seinen mächtigen Körper. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und versuchte, eine Stirntolle zu bändigen. Dann richtete er sich zu seiner beeindruckenden Größe auf, winkte ein letztes Mal und verschwand.
Keiner wollte es glauben, aber die Soldaten, die so gierig die Erstürmung Roms gefordert hatten, mußten die Leostadt wieder verlassen, weil König Arnulf nicht auf den Schilden seiner Soldaten in die ewige Stadt getragen werden wollte, sondern auf einen ehrenhaften und freiwilligen Empfang von Papst, Adel und Volk bestand und noch stärker bejubelt werden wollte. Tatsächlich neigten die Römer ihr Haupt, grölten höhnisch Vivat, rex Teutonicus , schwenkten Fähnchen und Tücher, Papst Formosus zelebrierte, unterstützt von seinen Kardinälen und im Beisein aller vornehmen Familien der Stadt, eine erhebende Messe, an deren Ende König Arnulf zum caesar augustas romanorum gekrönt wurde.
Die einflußreichsten Männer Roms, unter ihnen der erlauchte Senator Theophylactus, schworen dem neuen Kaiser ›bei allen Mysterien Gottes‹ die Treue, der Gehuldigte nahm den Schwur an, setzte einen seiner bairischen Getreuen zum Präfekten der Stadt ein, befahl zwei Adligen, die
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