Die heimliche Päpstin
Gruft in der Petrus-Basilika gezerrt, in päpstliches Ornat gekleidet und auf einen Thron im Konziliensaal gesetzt, wo gegen ihn wegen seiner angeblich unrechtmäßigen Wahl und anderer Vergehen die Anklage erhoben werden sollte.
Da Theodora befand, daß die Kinder nicht ununterbrochen von mir beaufsichtigt werden müßten, nahm sie mich mit zu dem Toten-Tribunal, obwohl wir Frauen in dem Konziliensaal des Vatikans nichts zu suchen hatten. Aber Theodora hatte längst begonnen, sich die Rechte zu nehmen, die im Prinzip nur ihrem Mann zustanden, und niemand wagte Einspruch zu erheben.
Wir beide befanden uns neben dem alle überragenden Theophylactus inmitten einer Gruppe von Zuschauern, die in atemloser Beklemmung dem Tribunal lauschten. Ein unerträglicher Leichengeruch hing in dem Saal, als ein von Papst Stephan und Sergius bestellter Ankläger dem augenlosen, von Maden zerfressenen Gesicht unter der roten Samtkappe zurief: »Warum hast du aus Ehrsucht den Apostolischen Stuhl usurpiert, da du doch zuvor Bischof von Portus warst? Wußtest du nicht, daß das kanonische Recht den Ortswechsel eines Bischofs verbietet?«
Der Verteidiger des Leichnams brachte mit zittriger Stimme eine Antwort hervor, in der er auf andere Beispiele der Papstgeschichte verwies und die damalige Ausnahmesituation herausstellte.
Der Ankläger schnitt ihm das Wort ab und beschimpfte den Leichnam, der immer wieder in sich zusammenfiel und aufgerichtet werden mußte, mit unflätigen Worten, warf ihm angeblich unrechtmäßige Taten der Vergangenheit vor und beantragte, ihn zu verdammen, abzusetzen und all seine Ordinierungen und Beschlüsse für ungültig zu erklären.
Ein Raunen ging durch die Menge, denn dieses Urteil würde eine nicht geringe Anzahl von Bischöfen treffen.
Der Verteidiger des Formosus wußte nichts mehr zu sagen, kniete nieder und betete das Pater noster . Die drei von Sergius eingesetzten Richter erhoben sich und sprachen ihr Urteil, das der Anklage in allen Punkten folgte. Hilfskräfte oder Henker der Kirche sprangen auf, zerrten der Leiche die Samtkappe vom Schädel, rissen ihr Stola und Pallium von der Schulter, zerrten an der Dalmatika, zogen an den Pantoffeln, bis schließlich ein halbverwester Nackter von seinem Thron kippte und als stinkende, graue Masse vor uns liegenblieb. Theodora mußte sich, wie eine ganze Reihe anderer Personen auch, übergeben. Ich hielt ein Leinentüchlein vor Mund und Nase, stützte Theodora. Theophylactus hatte den Raum verlassen.
Die Henkersknechte hatten ihre Arbeit noch nicht gänzlich erledigt. Sie versuchten, den Leichnam wieder aufzurichten, hielten die rechte Hand in die Höhe, soweit dies möglich war. Ein Messer zuckte auf, die Männer schrien sich etwas zu, und dann schnitten sie die drei Finger der rechten Hand ab, mit denen der Papst den Segen erteilt hatte.
Ein ungeheures Geschrei durchtobte den Saal, als müßte jeder von uns sich die beschmutzte Seele aus dem Leib pressen. Formosus' Leichnam, oder was davon übriggeblieben war, wurde aus dem Saal gezerrt, hinaus in eine vor Hitze flirrende Stadt, durch die Straße zur Engelsburg und zum Tiber, wo er von der Brücke ins Wasser gestoßen wurde.
Eine riesige Menschenmenge hatte sich unterdessen herbeigedrängt, um das Schauspiel zu beobachten. Sie hielt den Atem an, als Formosus' Leichnam in das Wasser platschte. Nichts geschah. Die Hitze brütete weiter, kein Donner erscholl, kein Blitz vernichtete die Frevler. Nicht einmal das Schwert von Erzengel Michael rührte sich. Und so brach die Menschenmenge in ein unmenschliches Aufstöhnen aus, in Heulen und Brüllen, das der allmächtige Vater im Himmel schweigend überging.
Anschließend zerstreute sie sich. Auch wir schritten stumm zu unserem Haus, wo uns Theophylactus sofort allein ließ, um zu Sergius zu eilen und mit ihm zu Papst Stephan, wie er Theodora zuflüsterte. Die Stadt schien tagelang in Angst vor einem vernichtenden Strafgericht zu erstarren. Jeder sprach mit gesenkter Stimme, zahlreiche Menschen weinten auf offener Straße. Theophylactus erhöhte die Anzahl der Wachen im Haus, weil ein Gegenschlag der Formosus-Partei befürchtet wurde. Aufs Land ziehen, in eine der Villen, die bei den Domänen der Familie lagen, konnte man wegen der Sarazenengefahr nicht.
Es folgte ein lähmender, stickiger Sommer, an dessen Ende Theodora mir augenzwinkernd das Erscheinen eines ansehnlichen jungen Mannes aus Camerino ankündigte. Sie erklärte, er sei ein Vertrauter der
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